Schusslinie
Telekom.«
Häberle holte tief Luft. Der Junge hatte in
den Morgenstunden wohl schon ganze Arbeit geleistet, dachte er. Und es sah ganz
danach aus, als habe er noch mehr Neuigkeiten auf Lager.
»Die Telekom hat auch schnell reagiert«, er
nahm ein neues Blatt zur Hand, »sodass wir den Gesprächspartner bereits kennen –
oder besser gesagt: Den Anschlussteilnehmer. Mir sagt der Name allerdings nichts:
Striebel, Martin Striebel, wohnt drüben in Aichelberg. Ich hab die gesamte Adresse
hier. Kennt ihn jemand?« Linkohr blickte in die Runde, entdeckte aber nur Kopfschütteln.
Auch Häberle schien dieser Name nichts zu sagen. Schade, dachte Linkohr. Er hatte
gehofft, dass der Chef-Ermittler irgendetwas damit würde anfangen können. Aber Häberle
blieb gelassen am Türrahmen lehnen.
»Und weiß man auch, wo sich dieser Striebel
in der Slowakei aufgehalten hat?«, wollte jemand wissen.
»Natürlich, auch das ist kein Problem«, erwiderte
Linkohr, »es ist so ein Kaff mit einem etwas unaussprechlichen Namen und so einem
komischen Buchstaben – so einem ›s‹ mit Haken drüber.« Er suchte schnell seine handschriftlichen
Notizen danach ab. »Hier hab ich’s. Košice heißt die Stadt. Ist ganz hinten in der
Slowakei.«
19
Der Zug hatte Košice kurz nach halb sechs verlassen. Martin Striebel
und Rainer Kromer waren von dem riesigen Andrang überrascht gewesen. Sie hatten
nicht gedacht, dass so viele Menschen um diese frühe Zeit westwärts reisen wollten.
Als der Zug den Bahnhof verließ, waren nahezu alle Plätze besetzt.
Die beiden Deutschen hatten die schrecklichste
Nacht ihres Lebens hinter sich. Nachdem sie wieder freigelassen worden waren, hatten
sie sich an der Hotelbar des ›Slovan‹ noch einige Biere gegönnt und, meist im Flüsterton
und die Menschen um sie herum beobachtend, die weitere Vorgehensweise besprochen.
Nach einem unruhigen Schlaf waren sie mit einem Taxi zum Bahnhof gefahren. Obwohl
sie die Entfernung ohne weiteres hätten zu Fuß zurücklegen können, wollten sie kein
Risiko mehr eingehen. Jetzt, im Zug, der an der Bergkette der Hohen Tatra entlang
rauschte, war ihr Misstrauen gegenüber Fremden noch immer nicht gewichen. Sie fühlten
sich belauscht und beobachtet und sehnten die Grenze nach Österreich herbei. Doch
das war nur eine psychologische Beruhigung, denn alles deutete darauf hin, dass
sie es mit einer Bande zu tun hatten, die offenbar international agierte. Die Fotos,
die man ihnen gezeigt hatte, ließen dies befürchten. Irgendjemand hatte erst vor
kurzem ihre Häuser fotografiert und die Bilder per E-Mail übermittelt. Striebel
und Kromer hatten überlegt, ob sie ihre Frauen am Telefon von all diesen Geschehnissen
informieren sollten – doch dann entschieden sie, dies nicht zu tun, um keine unnötige
Panik aufkommen zu lassen. Außerdem war es wohl zweckmäßig, keine Telefonate zu
führen. Man konnte schließlich nicht wissen, welches Netzwerk von Überwachungsmethoden
diesen Gangstern zur Verfügung stand. Eines war den Deutschen in den vergangenen
Stunden klar geworden: Da ging’s nicht mehr nur um die paar hunderttausend Euros,
denen sie nachspüren wollten – nein, da steckte mehr dahinter. Organisierte Kriminalität
im großen Stil.
Die beiden saßen sich gegenüber und starrten
Gedanken versunken auf die vorbeifliegende Landschaft hinaus. Weite Wälder wechselten
sich mit ausgedehnten Wiesenflächen, nur selten tauchten Besiedelungen auf. Hier
entlang der Gebirgskette, die eine natürliche Grenze zum nördlich gelegenen Polen
bildet, war die Slowakei besonders dünn besiedelt. Die Morgensonne schien flach
von hinten in die seitlichen Zugfenster herein.
»Soll ich nochmal versuchen, den Matthias anzurufen?«,
fragte Striebel und brachte damit zum Ausdruck, was ihn schon seit Minuten beschäftigte.
Kromer zuckte unschlüssig mit den Schultern,
meinte dann aber: »Ja, tu’s.«
Der Ältere mit dem Bluthochdruck griff in die
Innentasche seiner weißen Freizeitjacke und drückte erneut die Wahlwiederholung,
wie er dies an diesem Morgen schon öfters getan hatte. Doch auch diesmal folgte
nur der Hinweis, dass der Teilnehmer vorübergehend nicht zu erreichen sei.
Striebel steckte das Gerät wieder weg. »Ich
versteh das nicht. Der geht doch mit dem Ding normalerweise sogar schlafen.«
Kromer schwieg. Sein Blick war auf das Gesicht
eines Mannes gefallen, der eine Reihe vor ihm links saß. Ein kantiges Gesicht. Blonde
Stoppelhaare und stechende Augen, die kalt und
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