Schusslinie
sich ergehen, wohl wissend, dass
sie auch gar keine andere Wahl hatte. Denn in ihrer Situation würde sie nirgendwo
im Westen einen Job finden. Und sich nur auf das Geschäft mit der Prostitution zu
beschränken, das wollte sie nicht. Sie suchte sich ihre Kundschaft aus und würde
nie mehr, wie viele Mädchen dies im grenznahen Bereich zwischen Tschechei und Deutschland
noch immer taten, am Straßenrand die Freier locken.
Von einem Mann namens Liebenstein hatte sie
nie zuvor etwas gehört. Die Männerstimme im Handy gab sich Mühe, Charme zu verbreiten.
»Herr Gangolf und Frau Campe haben mich gebeten, mit Ihnen Kontakt aufzunehmen.«
Das Mädchen schwieg. Sie überlegte für einen
Moment, ob sie das Gespräch unterbrechen sollte.
»Ich verstehe den Grund Ihres Anrufs nicht«,
sagte sie mit ihrem harten slowakischen Akzent. Dadurch wirkte ihre kühle Stimme
noch um ein Vielfaches unsympathischer.
Der Anrufer spürte, dass er keine Chance haben
würde, weshalb er beschloss, sein Anliegen direkt vorzubringen: »Wir sind in Sorge
um Herrn Nullenbruch. Sie doch sicher auch?«
»Herr Nullenbruch ist mein Chef«, gab sie monoton
und teilnahmslos zurück.
»Wir sollten miteinander reden«, wurde Liebenstein
deutlicher.
»Ich wüsste nicht, worüber.« Anna blieb hart,
während sie den Parkplatz um sich herum im Auge behielt. Die meisten Autos waren
bereits weg.
Der Anrufer gab sich geschlagen. »Dann sagen
Sie mir doch wenigstens, wo ich ihn erreiche.«
Annas Blick ging ins Leere. »Das geht niemanden
etwas an.«
Liebenstein war nahe daran, die Beherrschung
zu verlieren. Seine Stimme verriet, dass er innerlich kochte. Er schien noch auf
eine Antwort zu warten, doch dann brach es förmlich aus ihm heraus: »Nur eines noch,
Schätzchen. Du solltest deinen frechen, osteuropäischen Stolz mal ein bisschen zügeln.
Sonst könnte es sein, dass du eins auf die Fresse kriegst.« Aus. Er hatte das Gespräch
unterbrochen.
Anna hatte panische Angst. Ihr wurde bewusst,
wie allein sie war.
»Rache oder Abrechnung – irgendeine alte Sache von früher«, resümierte
Mike Linkohr, als er Häberle einen Aktenordner in das kleine Büro brachte. Die Kollegen
der Sonderkommission hatten sich im Vereinsheim des SC Geislingen umgehört, ohne
allerdings jemanden zu finden, der etwas Näheres zu Funkes und Heimerles dortigem
Aufenthalt am Montagabend hätte sagen können. Nur ein Stammgast glaubte sich zu
entsinnen, die beiden auf dem Weg zum Clubraum im Tribünengebäude gesehen zu haben.
Ob sie dabei in Begleitung weiterer Personen waren, wusste er allerdings nicht.
Er schlug aber vor, die Sportler zu befragen, die sich regelmäßig am Montagabend
trafen. Die Kriminalisten hatten inzwischen diese Namen herausgefunden.
»Sie meinen, da wurden alte Rechnungen beglichen«,
griff Häberle die Überlegungen seines jungen Kollegen auf und lehnte sich in dem
unbequemen Bürosessel zurück.
»Irgendjemand hat’s auf die ehemaligen Sportsfreunde
abgesehen, das liegt doch auf der Hand«, erwiderte Linkohr. »Die drei kennen sich
von früher, Funke, Heimerle und Lanski – das wissen wir. Jetzt brauchen wir nur
nach einem gemeinsamen Bekannten zu suchen, dem sie im Weg waren.« Linkohr grinste
und fuhr fort, als sei alles ganz einfach: »Zumindest einen seiner Bekannten kennen
wir bereits.«
»So?«
»Klinsmann«, antwortete der junge Kollege ziemlich
forsch.
»Dann stellen Sie mal fest, wo er sich am Montagabend
und vergangene Nacht aufgehalten hat.« Der ironische Unterton war nicht zu überhören.
»Der Herr Bundestrainer hat ja in diesen Wochen vor den wichtigen Spielen zum Confederations-Cup
auch sicher nichts anderes im Kopf, als alte Rechnungen zu begleichen. Mit der Schrotflinte.«
Er grinste noch breiter. »Gut kombiniert, Herr Kollege.«
Linkohr fühlte sich veräppelt, weshalb er das
Thema wechselte und eine ausgedruckte E-Mail auf den Tisch legte. »Es hat tatsächlich
geklappt. Wir haben die Gesprächsverbindungen von Striebels Handy gekriegt«, vermeldete
er stolz.
»Unser Herr Richter ist halt ein Praktiker«,
kommentierte Häberle zufrieden, »ich sag’s doch immer – der weiß, worauf es ankommt.«
Amtsrichter Schwenger hatte also den Nachforschungen zugestimmt.
»Es gibt allerdings nichts sonderlich Auffälliges«,
musste Linkohr einräumen, als er die Aufstellung der an- und abgegangenen Gespräche
mit den jeweiligen Nummern vorlegte. »Zumindest nichts, was uns hellhörig machen
müsste.« Der Kommissar besah
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