Schusslinie
sich erschöpft und abgespannt und ständig unter Druck
gesetzt. Alle drängten darauf, dass er herausfinden sollte, was geschehen war. Gangolfs
Misstrauen wuchs stündlich – sogar gegen seine bisherigen Vertrauten, wie Liebenstein
es empfand. Dabei sah doch alles danach aus, als ob dieser Lanski hatte abspringen
wollen. Ziemlich beunruhigend war nur, dass es offenbar jemanden gab, der ihnen
allen in die Quere kommen konnte. Liebenstein köpfte sein Frühstücksei und ließ
seinen Blick durch den Raum schweifen. Nur noch zwei Gäste saßen weit verstreut.
Ein älterer Herr hatte die Zeitung neben der Kaffeetasse klein gefaltet; ein jüngerer
sortierte Akten und hob einzelne Passagen mit dem grell-gelben Leuchtstift hervor.
Während Liebenstein das weiche Ei auslöffelte,
fasste er einen Entschluss. Der Chef in Berlin hatte Recht. Wenn es zum gegenwärtigen
Zeitpunkt noch eine wirklich zuverlässige Kontaktperson gab, dann diese Kleine.
28
Bruhn war eingetroffen. Kein ›Hallo‹, keine Begrüßung. Er stürmte durch
den Flur, als sei er auf der Flucht. Die Kriminalisten, die in seiner Person das
Unheil aufziehen sahen, hatten sich schnurstracks ins nächstbeste Büro gerettet.
Der oberste Kripochef war auf hundertachtzig. Die Medien aus der halben Republik
bombardierten ihn, Pressesprecher Uli Stock hing pausenlos am Telefon. Und nun hatte
er erfahren, dass von Sat1 ein Kamerateam zur Brandstelle nach Aichelberg unterwegs
war, während RTL Heimerles Carport in Geislingen filmen wollte. Ganz zu schweigen
von den vielen freien Aufnahmeteams, die allesamt dämliche Fragen gestellt hatten,
wie Bruhn es empfand. Schnelles Handeln war vonnöten, schoss es ihm durch den Kopf.
Er stellte sich vor Häberle hin, der am Computerbildschirm den Bericht der Spurensicherung
studierte.
»Und? Was gibt’s?«, fuhr ihn der cholerische
Chef an, dessen Kahlkopf gefährlich glänzte. Häberle las den Satz vollends zu Ende,
drehte seinen Kopf zu Bruhn und sagte gelassen: »Nach allem, was die Spurensicherung
und die Vernehmungen ergeben haben, können wir davon ausgehen, dass wir’s mit ein
und demselben Täter zu tun haben.«
»War mir klar«, blökte Bruhn, schnappte sich
einen Besucherstuhl und setzte sich vor Häberles Schreibtisch. »Das hat sich bereits
bis zum IM rumgesprochen.« Er meinte das Innenministerium in Stuttgart. »Und die
Pressefritzen blähen die Geschichte in einer Weise auf, dass mir’s schummrig wird.«
Da fiel ihm ein, dass sich sein Intimfeind, dieser lokale Polizeireporter Georg
Sander, noch gar nicht bei ihm gemeldet hatte. »War der Sander schon hier?«, fragte
er zweifelnd.
Häberle blieb sachlich. »Hab das schon erledigt.
Wir brauchen ihn wegen der Zeugensuche.«
»Ohne den ›Ö‹?« Bruhn polterte los, »Herr Häberle,
ich muss Sie dringend ersuchen, den Dienstweg einzuhalten.«
Klar, dachte der Gerügte, der ›Ö‹, wie der
Beamte für Öffentlichkeitsarbeit hieß, brauchte auch seine Daseinsberechtigung.
Der und sein Stellvertreter – und neuerdings sogar noch ein Adjutant, fuhr es Häberle
durch den Kopf. Schreibtischhengste en masse.
Doch er zog es vor, seinen Kommentar zu verkneifen.
Bruhn jedoch glaubte zu wissen, was sein Gegenüber nicht sagte, weshalb er rein
vorsorglich eine Drohung ausstieß: »Sie sollten sich penibel an die Dienstvorschriften
halten. Diese alte Sache ist noch nicht vom Tisch.«
Häberle ging nicht darauf ein. Wenn das jetzt
seine ganzen Sorgen waren – Dienstvorschriften, Dienstaufsichtsbeschwerden, dann
hatte Bruhn bei Gott keine wirklichen Probleme.
»Wieso kommen Sie über den Lanski nicht weiter?«,
wechselte der oberste Chef das Thema, »Sie müssen überall ansetzen. Irgendwo hab
ich was von der Slowakei gelesen – was steckt da dahinter?« Bruhn hätte am liebsten
alle Fragen gleichzeitig gestellt, aber sie möglichst bereits im Voraus beantwortet
bekommen.
»Das scheint mir ein eher zufälliges Zusammentreffen
zu sein. Zwei Geschäftsleute haben in der Slowakei nach ihrem Geld geschaut …« Häberle grinste, »… und ihrem Freund Lanski
über Rendite oder Nicht-Rendite Meldung erstatten wollen. Leider war der Gute zu
diesem Zeitpunkt bereits tot –
und das Handy in anderen Händen. Nur wissen wir bis jetzt nicht, in welchen.«
Bruhn knurrte etwas. Das hatte er gelesen.
»Ich will etwas ganz anderes wissen«, wurde er noch energischer, als er es schon
war, »wenn diese ganze Kacke in die Sportszene reinspielt, wie auch immer, dann
macht
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