Schusslinie
Männer zu erinnern
versuchte. Als gelernter Kriminalist machte er sich Vorwürfe, keine bohrenden Fragen
gestellt zu haben. Kurz vor der Ausfahrt Wendlingen, als sich vor ihm die Bergkette
der Schwäbischen Alb im Dunst abzeichnete, beschloss er, sich zunächst über die
Ereignisse zu informieren. Denn wenn die beiden Männer tatsächlich hinter einer
heißen Sache her gewesen waren, und danach sah es aus, dann reichte sie womöglich
bis in die höchsten Ebenen der Politik hinein. Und nichts war gefährlicher, als
in diesen politisch unsicheren Zeiten etwas an die Öffentlichkeit zu bringen, was
geheim bleiben musste. Riegert entschied, auf eigene Faust zu ermitteln.
29
»Und jetzt?« Der Amerikaner, der sich betont leger gab, um gleich gar
nicht den Eindruck zu erwecken, Millionär zu sein, unterhielt sich mit seinem Schwager
Jano auf Slowakisch. Sie saßen sich im Büro der Baustoffhandlung in schweren, ledernen
Sesseln gegenüber.
»No problem«, entgegnete Jano, doch es hörte
sich nicht überzeugend an. Auf Slowakisch fuhr er fort: »Für uns besteht keine Gefahr.
Und für unsere Auftraggeber auch nicht.«
»Das sagst du so einfach«, konterte sein Schwager,
der das rechte Bein abgewinkelt hatte, um den Fuß aufs linke Knie legen zu können.
»Mit den Jungs da drüben ist nicht zu spaßen.« Er deutete mit dem Kopf in Richtung
Osten. »Du hast ihnen schon verdammt viel in den Rachen geworfen.«
Jano zuckte zusammen. Wenn Pit unpässlich wurde,
was nur im engsten Kreise geschehen konnte, dann empfahl es sich, auf Distanz zu
gehen.
»Was glaubst du eigentlich, was geschieht,
wenn die ganze Clique um diesen Nullenbruch hier aufkreuzt? Was, zum Teufel, muss
eigentlich noch passieren, dass du dir endlich Gedanken machst? Es ist doch nur
noch eine Frage der Zeit, bis auch bei uns hier die Bullen auftauchen. Dieser Nullenbruch
wird uns Kopf und Kragen kosten.« Der Amerikaner stockte, um dann leise, aber drohend
fortzufahren: »Ich sag dir eins. Bevor mir hier jemand die Hölle heiß macht, flieg
ich in die Staaten zurück. Und dann kannst du selber sehen, wie du aus der Scheiße
rauskommst. Du hast das vermasselt. Du allein, weil du den Hals nie voll kriegen
kannst, weil du größenwahnsinnig bist. Mit all deinen Weibern und immer noch spekulativeren
Geschäften.«
Die beiden Männer schwiegen sich eine halbe
Minute lang an, während der Jano in Gedanken alle Möglichkeiten durchging, die sich
seiner Meinung nach boten.
»Wir müssen die Schweinehunde entweder ausschalten
oder mit ihnen einen Deal machen«, erklärte er vorsichtig, um seinen Schwager nicht
noch mehr zu erzürnen. Pit war zum Fenster gegangen und blickte auf die belebte
Straße hinaus. »Was heißt ›ausschalten‹ «, er drehte sich blitzartig um, »… willst
du sie abknallen? Du weißt ja nicht mal, wo du sie findest. Und wenn du einen Deal
mit ihnen machen willst, bitte schön, tu’s, aber dann wird’s verdammt teuer, das
sag ich dir jetzt schon. Ganz zu schweigen davon, dass sie dich nicht zu einer Krisenkonferenz
einladen werden.« Über Janos Gesicht huschte ein mitleidiges Lächeln.
Jano schwieg. Auf seiner Glatze bildeten sich
Schweißperlen. Sein Handy spielte eine Melodie, doch er ignorierte es.
»Und wie soll das alles weitergehen?«, bohrte
Pit weiter und blieb stehen. »Die Organisation steht, das Geld fließt – aber unsere Partner werden nervös. Und du
hast inzwischen keinen Kontaktmann mehr.«
Jano schüttelte heftig den Kopf. »Irrtum.«
Er grinste triumphierend. »Du solltest wissen, lieber Pit – ich hab meine Kontakte
überall hin. Es geht auch ohne den Nullenbruch, sei dir dessen gewiss.« Jetzt war
er wieder ganz der smarte und charmante Geschäftsmann. »Ich sag doch, es gibt kein
Problem.«
Pit kniff die Augen zusammen und sah seinen
Schwager angrifflustig an. »Nur halt, dass es diese Jungs gibt. Ich warne dich,
Jano. Die schrecken vor nichts zurück. Auch wenn du uns, verdammt nochmal, in diese
Scheiße reingeritten hast, so möchte ich doch noch eine Zeit lang einen Schwager
haben. Schon meiner Schwester wegen.«
Anna saß gerade in ihrem grasgrünen Polo, um das Firmengelände zu verlassen,
als ihr Handy sich meldete. Sie hatte es lautlos gestellt, denn Frau Siller wäre
sonst ausgeflippt. Und seit unklar war, wo sich Nullenbruch aufhielt, wollte Anna
das äußerst gespannte Verhältnis zu ihrer direkten Vorgesetzten unter keinen Umständen
noch mehr strapazieren. Sie ließ die Anfälle über
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