Schutzlos: Thriller (German Edition)
schwer und nestelte an ihrem Ärmel herum, während wir an einer wild wuchernden Magnolie vorbeifuhren, dann an einem Walnuss- oder Kastanienwald, der wiederum an ein riesiges Baumwollfeld mit prallen Büscheln grenzte. Sie drehte unruhig ein dünnes Diamantenkettchen
an ihrem Handgelenk, das sie sich selbst zu einem ihrer letzten Geburtstage geschenkt hatte, blickte auf den Schmuck und dann auf ihre schwitzenden Handflächen. Sie legte die Hände auf ihren dunkelblauen Rock. Unter meiner Obhut hatte Alissa ausschließlich dunkle Sachen getragen. Es war eine Tarnung, aber nicht, weil sie das Ziel eines Profikillers war; es ging um ihr Gewicht, mit dem sie seit ihrer Pubertät zu kämpfen hatte. Ich wusste das, weil wir gemeinsam die Mahlzeiten einnahmen und ich den Kampf aus der Nähe beobachten konnte. Sie hatte außerdem ziemlich viel über ihre Gewichtsprobleme gesprochen. Manche Mandanten brauchen oder wollen keine Kameradschaft. Für andere wie Alissa müssen wir Freunde sein. Ich bin nicht sehr gut in dieser Rolle, aber ich gebe mir Mühe, und im Allgemeinen kriege ich es hin.
Wir kamen an einem Schild vorbei. Noch eineinhalb Meilen bis zur Ausfahrt.
Ein Geschäft erfordert einfache, kluge Planung. Man darf bei so einer Tätigkeit nicht nur reagieren, und obwohl ich das Wort »proaktiv« hasse (im Gegensatz wozu? – »antiaktiv«?), ist die Idee dahinter von entscheidender Bedeutung für unser Handeln. Das in diesem Fall darin bestand, Alissa gesund und wohlbehalten beim Staatsanwalt abzuliefern, damit sie ihre Aussagen machen konnte. Ich musste den Killer im Spiel lassen. Da ihm mein geschäftlicher Ziehsohn seit Stunden folgte, wussten wir, wo er war, und hätten ihn jederzeit ausschalten können. Aber in diesem Fall hätte sein unbekannter Auftraggeber schlicht jemand anderen für den Job angeheuert. Ich wollte, dass der Killer den größten Teil des Tages auf der Straße verbrachte – bis Alissa im Büro des Staatsanwalts gewesen war und diesem per eidlicher Aussage so viele Informationen hatte zukommen lassen, dass sie nicht mehr in Gefahr war. Sobald eine Aussage niedergeschrieben ist, hat der Killer keinen Anlass mehr, einen Zeugen auszuschalten.
Der Plan, den ich mir mit Hilfe meines Ziehsohns ausgedacht hatte, sah vor, dass ich den Geflügellaster überholte und mich vor ihm wieder einreihte. Der Killer würde Gas geben, damit wir in Sichtweite für ihn blieben, aber ehe er nahe genug kam, würden der Lkw und ich gleichzeitig den Highway verlassen. Wegen der Biegung der Straße und der besonderen Ausfahrt, die ich mir ausgesucht hatte, würde der Killer meinen Wagen nicht sehen können und von da ab unserem Double folgen. Ich würde dann mit Alissa über eine komplizierte Route zu einem Hotel in Raleigh fahren, wo der Staatsanwalt wartete, während unser Double schließlich im drei Stunden entfernten Charlotte vor dem Gerichtsgebäude halten würde. Bis der Killer erkannte, dass er einem falschen Ziel gefolgt war, würde es zu spät sein. Er würde seinen Auftraggeber anrufen, und höchstwahrscheinlich würden sie den versuchten Anschlag aufgeben. Dann würden wir einschreiten, den Killer verhaften und versuchen, ihn zu seinem Auftraggeber zurückzuverfolgen.
Wir hatten uns der Ausfahrt auf etwa eine Meile genähert. Ein Blick in den Rückspiegel – der graue Hyundai hielt seine Position. Der Geflügellaster war zehn Meter vor uns.
Ich sah zu Alissa hinüber, die jetzt mit einem Halsband aus Gold und Amethyst spielte. Ihre Mutter hatte es ihr zum siebzehnten Geburtstag geschenkt, es hatte mehr gekostet, als sich die Familie leisten konnte, war jedoch ein unausgesprochener Trostpreis für das Ausbleiben einer Einladung zum Abschlussball der Highschool gewesen. Die Leute neigen dazu, ihren Lebensrettern ziemlich viel zu erzählen.
Mein Telefon läutete. Ich nahm das Gespräch an.
»Das Subjekt hat ein bisschen aufgeholt«, berichtete mein Ziehsohn. »Er ist etwa zweihundert Meter hinter dem Lkw.«
»Wir sind fast da«, sagte ich. »Dann wollen wir mal.«
Ich überholte den Geflügellaster zügig und scherte hinter unserem Double wieder ein – dicht hinter ihm. Der Wagen wurde
von einem Mann aus unserer Organisation gesteuert, die Beifahrerin war eine FBI-Agentin, die Alissa ähnelte. Die Auswahl des Mitarbeiters, der meine Rolle spielte, hatte für einige Heiterkeit im Büro gesorgt. Ich habe einen rundlichen Kopf und Ohren, die eine Idee weiter abstehen, als mir lieb ist, habe borstiges,
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