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Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall

Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall

Titel: Schutzpatron: Kluftingers sechster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Klüpfel , Michael Kobr
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seufzte. Er wusste, dass das Böhms Bezeichnung für seine Leichenkammer war. »Wart mal, ich schau mal in meinem Kalender, ob ich heut noch irgendwelche Termine hab.« Er tippte auf seinem Rechner herum, wobei sich plötzlich die E-Mail von Lodenbacher öffnete, in der er die Urkundenverleihung von heute ankündigte. Der letzte Satz der Nachricht lautete: »… und geben Sie sich bitte besonders Mühe, Sie wissen, wie sensibel Frau Henske ist.«
    Mit einem Seufzen löschte Kluftinger die Nachricht.
    Böhm stand auf. »Jetzt komm schon mit. Oder hast du in deinem Mailprogramm irgendwas Wichtiges gefunden, was dagegen spricht?«
    »Ja, Kruzifix, ich komm ja«, grummelte Kluftinger zurück.
    Als sie am Schreibtisch von Sandra Henske vorbeikamen, sagte Kluftinger: »Bitte, Fräulein Henske, verschieben Sie doch bitte … alle wichtigen Termine heute. Der Böhm will mir was …«, er schluckte, »zeigen.«
    Die Sekretärin quittierte das mit einem gleichgültigen Achselzucken.
    »Ja, aber vorher noch herzlichen Glückwunsch, Sandy«, sagte Georg Böhm eifrig und streckte ihr die Hand entgegen. »Find ich echt toll.«
    »Danke, Georg. Endlich gratuliert mir hier mal jemand anständig«, erwiderte sie mit einem Seitenblick auf Kluftinger.
    »Wann ist es denn so weit?«
    Irritiert blickte Sandy den Pathologen an. »Wie jetzt? Heut. Heut ist es doch so weit.«
    Der Pathologe legte die Stirn in Falten, machte dann aber eine wegwerfende Handbewegung und sagte: »Jetzt beginnt eine sehr schwere, aber auch sehr schöne Zeit. Ab jetzt ist schonen angesagt, gell? Das sag ich dir als Arzt!«
    Sandy grinste. »Ja, genau wie bei uns in den Behörden in der DDR , nich wahr?«
    Kluftinger fröstelte beim Anblick der mit grünem Tuch abgedeckten Körper, die auf den Edelstahltischen lagen. Nur gut, dass ich heut noch nichts gegessen hab , dachte er, als die Übelkeit ihm unaufhaltsam den Magen umdrehte. Sein letzter Besuch hier im Keller des Memminger Klinikums war schon eine ganze Weile her. Damals hatte er sich nicht nur die Leiche eines Mannes, sondern auch die einer Krähe ansehen müssen, und das Ganze hatte für ihn auf der Toilette geendet. Er versuchte krampfhaft an das Lied zu denken, das er in solchen Fällen immer innerlich anstimmte. Wie ging das noch?
    Ein weißes Boot im Sonnenglanz … »Was willst du mir denn eigentlich zeigen?«
    Böhm begab sich zu einem der Tische … und du schenkst mir den Blütenkranz …
    Kluftinger versuchte sich auf alles vorzubereiten, was da kommen könnte. Verstümmelungen? Verätzungen? Ich folgte dir ins Paradies …
    »Weißt du eigentlich, wie viele Morde jährlich unentdeckt bleiben?« Mit diesen Worten schlug der Pathologe das Tuch zurück.
    … ein Märchenland, das Barbados hieß. Kluftinger stutzte. Unter dem grünen Tuch kam der Kopf einer sehr korpulenten alten Frau zum Vorschein. Auf ihrem Gesicht lag ein friedlicher Ausdruck, der ihn an seine Großmutter erinnerte, die mit einem Lächeln um die Lippen entschlafen war.
    Als er, verwirrt von dem Anblick, der viel weniger grausam war, als er erwartet hatte – jedenfalls über die Tatsache hinaus, dass er auf eine Leiche blickte –, wieder in Böhms Gesicht schaute, merkte er, dass der auf eine Antwort wartete. »Hm?«
    »Morde? Unentdeckt?«
    »Ja, unentdeckte Morde. Schlimm.« Wartete unter dem Tuch noch eine weitere Überraschung? Die Frau ohne Unterleib oder etwas in der Richtung?
    »Herrgott, jetzt konzentrier dich halt, ich versuch dir hier was zu sagen. Aber ich seh schon, mit Pädagogik kommen wir hier nicht weiter. Also gut, dann eben Frontalunterricht: nach neuesten Schätzungen etwa tausendzweihundert.«
    Kluftinger starrte ihn fragend an.
    »Morde. Die nicht entdeckt werden.«
    Der Kommissar kniff die Augen zusammen: »Willst du jetzt unsere Arbeit kritisieren, oder was? Du weißt doch, dass wir tun, was wir …«
    »Nein, jetzt hör halt zu. Ich spreche nicht von denen, die nicht aufgeklärt werden. Nein, tausendzweihundert Morde, die gar nicht erst entdeckt werden, die gar nicht in die Statistik eingehen. Schau, zum Beispiel diese Frau hier: Maria Zahn aus Kempten. Tot aufgefunden in der ehemaligen Autowerkstatt ihres Mannes: Die hat der Hausarzt bei der Leichenschau … na ja … untersucht, aber eine falsche Todesursache festgestellt.«
    Kluftinger fiel es schwer, hier einen klaren Gedanken zu fassen, aber er versuchte krampfhaft, Böhms Ausführungen zu folgen. »Ach so, du meinst, der Hausarzt hat

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