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Schutzwall

Schutzwall

Titel: Schutzwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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mittelschwer, und wenn er ein besonderes Kennzeichen hatte, so war es sein völlig gelangweilter Gesichtsausdruck – mit Ausnahme der Augen. Seine graublauen Augen schienen alles mit Interesse wahrzunehmen.
    Der Polizeiarzt war gekommen und wieder gegangen, der Fotograf war mit seiner Arbeit fertig, und sie waren gerade dabei, den Leichnam Harold Snows wegzubringen, als Captain Gene Colder von der Mordkommission das Wohnzimmer betrat, bekleidet mit einem marineblauen Jogginganzug, Laufschuhen von Nike und in einer Hand eine Literpackung mit Eiskrem tragend, bei der es sich, wie er behauptete, um Fondant handelte. Er reichte Detective Lowe den Beutel und forderte ihn auf, ihn ins Kühlfach zu tun. Kinn übernahm es freiwillig, das zu tun, und Detective Lowe sah ihn voll Dankbarkeit an.
    Cindy McCabe hatte endlich mit dem Schluchzen aufgehört. Die Hände im Schoß gefaltet und die Knie fest aneinandergedrückt, saß sie auf der Couch. Sie sagte nur etwas, wenn man sie ansprach, ihre Stimme war leise und verwaschen. Captain Colder zuliebe erzählte sie noch einmal ihre Geschichte. Dann wiederholte Dill die seine und Anna Maude Singe die ihre. Colder schaute fragend zu Sergeant Meek hinüber, der inzwischen dieselbe Geschichte schon zum dritten Mal gehört hatte. Der Sergeant bestätigte alles mit unmerklichem Nicken.
    Colder sah Dill nachdenklich an. »Gehen wir mal hinüber in die Küche. Nur Sie und ich.«
    »Streng dienstlich«, sagte Dill.
    »Was meinen Sie mit dienstlich?«
    »Wenn es was Dienstliches ist«, sagte Dill, »dann kommt sie mit mir.« Mit einem Kopfnicken zeigte er auf Anna Maude Singe.
    »Wenn Sie Ihre Anwältin dabeihaben wollen, na bitte sehr«, sagte Colder und ging zur Küche hinüber. Dill und Anna Maude folgten ihm. Sie blieben stehen und sahen zu, wie Colder das Kühlfach öffnete, seinen Liter Eiskrem herausnahm, sich einen Löffel suchte, sich an den Küchentisch setzte, den Deckel des Bechers abnahm und anfing, sein Eiskremfondant zu löffeln, wobei er als einzige Erklärung für sein Verhalten nur kurz angebunden sagte:
    »Ich hab noch nichts zu Abend gegessen.«
    Sie standen noch immer und sahen ihm dabei zu, bis Colder aufstand, den Deckel auf den halbleeren Becher drückte und ihn im Tiefkühlfach verstaute. Als er sich wieder am Tisch niederließ, sah er zu Dill hoch und fragte: »Was wissen Sie über Harold Snow?«
    »Nicht viel.«
    »Hat Felicity Ihnen jemals was über ihn geschrieben?«
    »Nein«, sagte Dill und wandte sich zu Anna Maude.
    »Möchtest du dich nicht hinsetzen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich bleibe lieber stehen.«
    Colder zog einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor, aber weder Dill noch Anna Maude setzten sich. »Wir haben gleich kurz nach Felicitys Tod angefangen, Harold näher unter die Lupe zu nehmen«, sagte Colder. »Und was denken Sie, haben wir dabei gefunden?« Er beantwortete seine Frage gleich selbst. »Harold war ein bis auf die Knochen korrupter Typ.«
    »Sie meinen unehrlich«, sagte Anna Maude Singe mit einem kleinen höflichen Lächeln.
    »Sehr sogar«, sagte Colder.
    Dill schüttelte in fassungsloser Ungläubigkeit den Kopf. »Mir hat er erzählt, er verkaufe Heimcomputer.«
    »Das hat er auch zeitweilig«, sagte Colder, »aber er hat auf Kommissionsbasis gearbeitet, und wenn ihm an manchen Tagen nicht nach Arbeit zumute war, nun, dann mußte er eben nicht. Er konnte zu Hause bleiben. Oder irgendwo hingehen und das sein, worin er wirklich gut war, nämlich ein gerissener Dieb.«
    »Was hat er denn gestohlen?« fragte Dill.
    »Zeit.«
    »Zeit?«
    »Computerzeit«, sagte Colder, »Großrechner und deren Zeit ist sehr kostbar.«
    »Davon habe ich auch schon gehört«, sagte Dill.
    »Also, Snow peilte sie an und ortete sie, baldowerte aus, wie man in ihr Netz kommt, und verkaufte dann sein Wissen. Mit Computern und Elektronik war er eine Art Genie. Es gibt solche Leute. In den meisten Dingen mögen sie nicht gerade sehr helle sein, aber sie sind echte technische Genies. Sie haben doch auch sicher schon diese Art von Leuten kennengelernt, Dill? Oder nicht?«
    »Ich glaube nicht«, sagte Dill.
    »Und Sie, Miss Singe?«
    »Ich genausowenig.«
    »Aha. Ich dachte immer, so einen kennt jeder. Na ja, wenn also Snow nicht gerade Computerzeit stahl, dann machte er etwas anderes, was ebenfalls nicht sehr hübsch war. Er zapfte die Telefone von Leuten an, baute Wanzen in Büros und Schlafzimmern ein und ähnliches Zeug, obwohl ich bezweifeln möchte, daß wir

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