Schwaben-Gier
Küche, kehrte kurz darauf mit zwei voll beladenen Tellern zurück. »Sie kommt sofort.«
Er musterte die mit schwäbischem Rostbraten und Kässpätzle mit Salat reichhaltig ausgestatteten Teller, überlegte, ob es sich um Produkte aus dem Hause Kindler handelte.
»Mariannes Beste«, sagte eine Stimme neben ihm.
Er drehte sich zur Seite, bemerkte die Blickrichtung der Frau, die mit kleinen Schritten auf ihn zu kam. »Frau Körner?«, fragte er.
»Ich erkenne Sie an der Stimme«, antwortete sie, »wir haben miteinander telefoniert.« Sie schaute auf die Gerichte, die gerade serviert wurden. »Ja, Marianne hat sie uns gebracht. Aber nicht an diesem Montag.«
»Sie haben einen Moment Zeit?«
»Ich werde sie mir nehmen«, erklärte sie, »schließlich habe ich Sie darum gebeten, unter vier Augen zu sprechen.« Sie zeigte auf einen Tisch in der Ecke, fragte, ob sie ihm etwas anbieten dürfe.
»Später vielleicht«, antwortete er, »ich will Sie nicht so lange aufhalten.« Er folgte ihr, nahm an der Breitseite des Tisches Platz, wartete, bis sie sich ebenfalls niedergelassen hatte.
»Wir können es immer noch nicht fassen, dass Marianne nicht mehr lebt«, sagte sie, »ich glaube, wir werden es erst in ein paar Monaten begriffen haben, wenn schon längere Zeit vergangen ist, ohne dass sie mit zwei oder drei Kisten voller Nudeln in unsere Gaststube stürmte.«
»Sie waren befreundet?«
»Seit vielen Jahren. Wesensgleichheit, wenn Sie verstehen. Wir mussten beide um unser tägliches Brot kämpfen.«
»Frau Kindler hatte es nicht leicht mit ihrer Fabrik«, sagte er.
Sabine Körner schüttelte den Kopf. »Die Konkurrenz ist mehr als hart. Ich weiß nicht, wie es dort jetzt weitergeht. Ohne Marianne. Ich fürchte, sie haben keine Chance.«
»Sie war ein Verkaufstalent.«
»Talent? Sie war eine Kämpfernatur. Jeder Tag ein neuer Kampf. Deshalb ging sie nicht unter.«
»War das zu befürchten?«
Die Frau schaute ihn nachdenklich an, musterte sein Gesicht mit prüfendem Blick. Braig spürte, dass ihre Antwort davon abhing, zu welcher Einschätzung seiner Person sie kam.
»Ich weiß nicht, wie gut Sie Marianne kennen«, sagte sie.
»Uberhaupt nicht«, bekannte er, »ich lerne viele Leute erst kennen, wenn sie gestorben sind. Eines unnatürlichen Todes.«
»Und den Beruf halten Sie durch?«
»Was bleibt mir anderes übrig?«
Sie schwieg, gab ihrer Tochter, die an den Tisch getreten war, Gelegenheit, Braig nach einem Wunsch zu fragen. »Auf Kosten des Hauses«, sagte sie.
Er bestellte ein Wasser, lehnte ein Essen vorerst ab, obwohl sie ihm versicherte, dass Kässpätzle mit Salat ebenso wie der Rostbraten bereits vorbereitet seien und schnell serviert werden könnten, weil er sich trotz seines Hungers auf seine Fragen konzentrieren wollte.
»Mariannes Beste«, sagte seine Gesprächspartnerin, »vielleicht haben wir nicht mehr lange Gelegenheit, sie anzubieten.«
»Sie glauben, die schaffen es nicht ohne die Verstorbene.«
Sabine Körner zog die Augenbrauen hoch. »Ich weiß es nicht. Mariannes Mann ist ein fleißiger schwäbischer Tüftler, aber kein Verkäufer.«
Er gab ihr insgeheim Recht, überlegte, dass er unausgesprochen zu derselben Beurteilung Hermann Kindlers gekommen war wie sie. »Aber ohne guten Verkäufer haben sie keine Chance bei der großen Konkurrenz«, fügte er hinzu.
»Ich fürchte, nein. Aber Sie sind nicht gekommen, um mit mir über das Wohl und Wehe der Firma Kindler zu philosophieren.«
Braig schüttelte den Kopf, nahm dankend das Wasser entgegen, das ihm die junge Frau servierte.
»Sie wollen wissen, was Marianne mir am Montagabend am Telefon erzählte.«
Er trank von dem Glas, nickte.
»Sie war völlig außer Atem, ich merkte es schon beim ersten Satz. Ich kann nicht kommen, mir ist etwas Schreckliches passiert, sagte sie. Ihre Stimme zitterte, so habe ich sie noch nie gehört. Ich weiß nicht, wie es jetzt weiter gehen soll. Was ist los, habe ich sie gefragt, aber sie war zu keiner ordentlichen Antwort fähig.«
Braig stellte das Glas zurück, ließ die Frau reden.
»Du wolltest uns Nudeln bringen, habe ich sie erinnert. Wir sind zu Hause und warten auf dich.« Sabine Körner machte eine kurze Pause, warf Braig einen nachdenklichen Blick zu. »Montags ist unser Ruhetag, wissen Sie. Deshalb erinnerte ich sie extra noch einmal an den Termin, den wir miteinander vereinbart hatten. Wir haben nur noch wenige Nudeln, wir brauchen Nachschub. Sie stammelte irgendetwas von einem
Weitere Kostenlose Bücher