Schwaben-Gier
zu finden, das von Anton Beckstein geführt wurde? Hatte es mit dem Kinder- und Frauenhandel zu tun, den die Nudelfabrikantin dort beobachtet hatte?
Braig wusste nicht, wie er die Worte der Frau verstehen sollte, begriff nur immer deutlicher, dass alles davon abhing, die Identität des Fremden endlich zu klären. Er musste herausfinden, wer der Mann war, sonst hatte er nicht den Ansatz einer Chance, ihn jemals aufgreifen und vor Gericht stellen zu können. Wenn Marianne Kindler allerdings nicht sein erstes Opfer war, es sich bei dem Fremden vielleicht gar um einen Berufsverbrecher handelte, war der Mann wahrscheinlich längst über alle Berge. Dann gab es auch kaum Möglichkeiten, seiner habhaft zu werden.
Er hatte die Stadtbahnstation erreicht, nahm den nächsten Zug, war acht Minuten später in Fellbach. Das Rathaus mit dem Restaurant Zum alten Wetzstein im Erdgeschoss lag direkt an der Endhaltestelle der Bahn. Braig erinnerte sich, vor wenigen Jahren in dem urig hergerichteten Lokal eingekehrt zu sein. Viele seiner Kollegen trafen sich hier regelmäßig, sprachen dem reichhaltigen Angebot schwäbischer Weine zu.
»Irgendwoher kenne ich Sie«, erklärte der Wirt, nachdem er sich vorgestellt hatte.
»Sie haben ein gutes Gedächtnis«, attestierte ihm Braig, »ich war Ihr Gast. Das ist aber schon eine Weile her.« Er lehnte ab, als ihm Hariolf Reitmaier auf Kosten des Hauses ein Getränk anbot, bat ihn, sich noch einmal genau auf den Moment zu konzentrieren, als Marianne Kindler ihn aufgesucht hatte.
»Ich habe den Kerl gesehen, der meinen … auf dem Gewissen hat«, wiederholte der Wirt, »garantiert, das waren ihre Worte.«
»Und Sie erinnern sich nicht, wen sie damit meinte?«
»Nein. Tut mir Leid«, sagte der Mann, »ich habe es die ganze Zeit versucht. Ich habe es nicht verstanden. Wirklich nicht.«
Braig nickte, zog sein Notizbuch vor. »Wir suchen einen Asiaten. Einen Mann aus Thailand oder China, Sie verstehen?«
»Ja, Sie haben schon am Telefon nach ihm gefragt.«
»Er war wirklich nicht bei Frau Kindler?«
»Hundert Prozent, nein!« Reitmaier war sich sicher. »Auch darüber habe ich vorhin noch nachgedacht.« Er schüttelte energisch den Kopf. »Und in ihrem Auto war er auch nicht.«
Braig schaute überrascht auf. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil ich mit Frau Kindler raus bin. Sie hat die falschen Nudeln gebracht, ich habe es Ihnen erzählt.«
»Und dabei haben Sie bemerkt, dass das Auto leer war?«
»Leer ist gut. Das war voll leerer Kisten.«
»Der hat sich dahinter versteckt.«
Der Mann lachte laut. »Da gab es keinen Platz, sich zu verstecken. Lauter leere Kisten. Frau Kindler hatte alles voll gestellt, auch den Beifahrersitz. Die muss den ganzen Tag unterwegs gewesen sein, eine Menge Nudeln verkauft haben.«
»Sie glauben wirklich, in ihrem Wagen war kein Platz für einen Mann?«
»Nein, garantiert nicht. Der war voller als die Polizei erlaubt.« Er schaute ihn mit großen Augen an, wedelte mit der Hand durch die Luft. »Sie haben ja andere Sorgen, nicht wahr.«
»Dann hat er auf sie gewartet«, sagte Braig, »irgendwo in der Nähe.«
»Na ja gut, das kann natürlich sein«, gab der Wirt zu, »als sie zu uns kam, war es schon dämmrig, und groß umgesehen habe ich mich nicht, das ist klar.«
»Wahrscheinlich saß er in einem anderen Auto und wartete, bis Frau Kindler wieder aus ihrem Lokal kam. Und dann hat er sie sich geschnappt.«
»Sie glauben, ihr Mörder war hier in der Nähe?«
»Ich weiß es nicht«, erklärte Braig, »aber die Worte, die sie Ihnen als Antwort gab, deuten darauf hin.«
Er studierte die Aufzeichnungen in seinem Notizbuch, vergegenwärtigte sich noch einmal den genauen Verlauf von Marianne Kindlers Verkaufstour an jenem Montagabend. Achtzehn Uhr im Besen von Gerhard Schwarz in Untertürkheim in Begleitung des Asiaten. 18.30 Uhr im Zum alten Wetzstein in Fellbach: Sie hat den Kerl gesehen, der meinen … auf dem Gewissen hat. Neunzehn Uhr Gleisdreieck in Fellbach: Sie erscheint nicht. 19.30 Uhr Germania in Backnang: Sie erscheint nicht. Er sah seinen handschriftlichen Vermerk anrufen!, beschloss, es sofort zu versuchen, sobald er den Wetzstein verlassen hatte.
»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen noch helfen kann«, riss ihn Hariolf Reitmaier aus seinen Überlegungen, »wenn ich doch nur am Montag mehr auf die Frau geachtet hätte.«
»Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Niemand konnte ahnen, dass sie ermordet wird.« Er nahm sein Notizbuch an
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