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Schwaben-Gier

Schwaben-Gier

Titel: Schwaben-Gier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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Unglück, war kaum fähig zu reden. Wo bist du, fragte ich sie. Unterwegs nach Oettingen, ich muss mich verstecken.« Sie unterbrach ihren Bericht, weil neue Gäste den Raum betraten, winkte ihnen zu, grüßte sie.
    »Ich muss mich verstecken?«, vergewisserte er sich.
    Sabine Körner nickte mit dem Kopf, überlegte dann einen Augenblick, bevor sie weitersprach. »Weshalb willst du dich verstecken? Ich weiß noch genau, dass ich ihr die Frage stellte und was sie dann antwortete.«
    Braig sah, wie sich die beiden Männer an einem Tisch niederließen, dann von der jungen Frau bedient wurden. »Und?«, fragte er. »Was sagte sie?«
    »Ich habe den Kerl gesehen, der Manuel auf dem Gewissen hat.«
    Er riss seinen Kopf in die Höhe, starrte die Frau überrascht an. Derselbe Satz, überlegte er, den der Wirt vom Zum alten Wetzstein ebenfalls gehört hatte, nur diesmal vollständig. »Manuel?«, fragte er. »Marianne Kindlers Sohn?«
    Sabine Körner nickte.
    »Was ist mit ihm?«
    »Sie wissen es nicht?«
    Er versuchte nachzudenken, benötigte ein paar Sekunden, sich zu erinnern. »Er hatte einen Unfall, ist seitdem behindert, ja?«
    »Er studierte Lebensmittelchemie und wollte die Firma übernehmen. Bis er von einem Auto angefahren wurde.«
    Blitzschnell glaubte er zu wissen, was geschehen war. »Frau Kindler hat am Montagabend den Mann getroffen, der am Elend ihres Sohnes Schuld trägt?«
    »Der ihn mit seinem Auto angefahren hat?« Sabine Körner schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre gar nicht mehr möglich. Der verunglückte selbst. Ein Jahr später etwa. Überhöhte Geschwindigkeit. Ausgleichende Gerechtigkeit, sozusagen.«
    Braig wusste nicht weiter. »Wen meinte sie dann?«
    Die Frau schaute zur Seite, vergewisserte sich, dass die neuen Gäste bedient wurden. »Um Manuel war es nach dem Unfall schlecht bestellt. Teile des Gehirns beeinträchtigt, Lähmungen, Erinnerungslücken, Bewusstseinsverlust. Sie schleppten ihn von Klinik zu Klinik. Es half alles nichts. Er wurde nie mehr er selbst. Das einzige, was blieb, war ein Wrack von einem Menschen: Unfähig zu selbständigem Leben, nur noch unter Anleitung zu gebrauchen. Sie konnten ihn nicht einmal in ihrer Fabrik beschäftigen, es war zu gefährlich.«
    »Zeitweise nahm sie ihn mit auf ihre Verkaufstouren.«
    »Manchmal, ja. Aber das waren nur einzelne Tage. Zum Glück fanden sie eine Stelle für ihn. Nach ewig langem Suchen. Das Diakoniezentrum in Stetten hatte sie vermittelt. Er durfte Hilfsarbeiten in einer Firma in Ludwigsburg verrichten. Zuerst auf Probe, dann in fester Anstellung. Manuel blühte auf. Unter Anleitung eines erfahrenen Gärtners half er mit, die Außenanlagen des Unternehmens in Schuss zu halten. Die Arbeit war seine Rettung. Er goss die Pflanzen, harkte den Boden, entfernte das Unkraut. Ich weiß noch, wie froh Marianne war, als sie mir erzählte, dass Manuel zeitweise selbständig arbeiten dürfe. Ich kann Ihrem Sohn Aufträge erteilen, die er allein ausführt, hatte der verantwortliche Gärtner ihr mitgeteilt, er wird von Tag zu Tag routinierter. Er hat sein Glück gefunden, sagte sie zu mir, stell dir vor, wir haben nicht mehr daran geglaubt, aber das Wunder ist geschehen.«
    Braig betrachtete sein Gegenüber, wartete auf die Fortsetzung des Berichts. Die Frau ließ ihren Blick im Restaurant umherschweifen, bemerkte seine Anspannung.
    »Und?«, fragte er, mit der rechten Hand auf den Tisch klopfend, »damit hat es sich noch nicht, oder?«
    »Nein«, sagte sie, »damit hat es sich noch nicht. Manuel war drei Jahre bei der Firma, als diese von einem anderen Unternehmen übernommen wurde. Innerhalb weniger Monate wurde ein Drittel der Belegschaft entlassen.«
    »Frau Kindlers Sohn ebenfalls.«
    Sabine Körner nickte. »Obwohl er die Firma keinen unnötigen Cent kostete. Sie erfüllten mit seiner Anstellung nur die gesetzliche Vorgabe, eine bestimmte Anzahl Behinderter zu beschäftigen. Aber dazu waren die neuen Manager nicht bereit. Das spielte in ihrer Strategie keine Rolle. Sie glauben nicht, wie Manuel darunter litt. Marianne konnte es kaum mit ansehen.«
    »Wann war das?«, fragte er.
    »Vor einem halben Jahr etwa.«
    »Und dann?«
    »Manuel lebt seitdem in Stetten. Aber so sehr sich die Therapeuten dort auch bemühen, der Schock, seiner Arbeit nicht mehr nachgehen zu können, hat ihn völlig aus der Bahn geworfen. Behinderte Menschen reagieren auf Veränderungen nicht so flexibel wie wir. Diese Unfähigkeit, sich neuen Bedingungen anzupassen,

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