Schwaben-Gier
wurde an dieser Stelle hier am Rand Oettingens erschlagen und dann mehrfach überfahren. Die Spuren sind eindeutig.«
»Ihr habt das genaue Profil der Reifen?«
»Bis ins Detail, die Erde und das Wetter machten es möglich. Markus Schöffler hat es bereits angefordert, er vergleicht sie mit irgendeinem Karren.«
»Das ist sehr gut. Herzlichen Dank für deine Arbeit.« Braig legte auf, lief zum Wasserhahn, füllte die Kaffeemaschine, wartete auf ihr Blubbern. Es ging vorwärts, endlich. Stück für Stück näherten sie sich dem entscheidenden Punkt. Marianne Kindler war auf dem Rückweg von dem alten Gebäude, wo sie ihr Auto abgestellt hatte, kurz vor den ersten Häusern Oettingens ermordet worden. Auf einem der Acker, wo die Hundebesitzer des Ortes ihre Vierbeiner spazieren führten.
Zuerst niedergeschlagen, dann mehrfach von einem Fahrzeug überrollt worden. Von einer Person, die spätabends zwischen zwanzig und einundzwanzig Uhr dort draußen mit einem Auto unterwegs war. Bosbach?
Braig hörte das Blubbern der Maschine, holte seine Tasse. Die Reifenprofile waren identifiziert. Führten sie endlich zum Mörder?
Er wartete, bis der Kaffee vollends durchgelaufen war, schenkte sich eine Tasse voll, gab Milch dazu. Was war mit Sabine Layer? Hatte die Frau mit dem Mord an Marianne Kindler zu tun?
Er rührte den Kaffee um, nippte vorsichtig an seiner Tasse, sah Neundorf in sein Büro schießen. Ihr Gesicht war dunkelrot vor Wut. Braig starrte sie überrascht an.
»Schöffler hat angerufen«, zischte sie, »Bosbachs Reifen.« Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirn, schnaufte verächtlich. »Es ist nicht sein Profil. Irrtum ausgeschlossen.«
17. Kapitel
Kurz nach neunzehn Uhr waren sie in Tübingen eingetroffen, einen von Ann-Katrin selbst gebackenen Elsässer Flammkuchen und einen großen Blumenstrauß im Gepäck. Marion und Ragna, die beiden Mitbewohnerinnen Theresas hatten in der gemeinsamen Küche ein reichhaltiges Büfett kalter und warmer Speisen vom griechischen Salat über eine Vielzahl inmitten verschiedener Kräuter und Früchte drapierter Käsesorten bis hin zu Süßspeisen wie Tiramisu und Mousse au Chocolat, dazu eine große Auswahl an Getränken aufgebaut. Ihre beiden Zimmer waren mit Sitzgelegenheiten aller Art ausgestattet, vom herkömmlichen Sofa über Stühle und Sessel bis zu zwei verschiedenen Garnituren von Gartenmöbeln, alles kunterbunt nebeneinander platziert.
Braig und Ann-Katrin Räuber widmeten sich zuerst der offiziellen Hauptperson des Abends, streichelten und massierten das sanfte graugetigerte Wesen, das seit ein paar Tagen zum lebenden Inventar der Wohnung zählte. Fussel wehrte sich nicht, ließ alles über sich ergehen. Dann zogen sie sich in Theresas Zimmer zurück, schenkten ihre Aufmerksamkeit Irene Räuber. Der Zustand der Kranken hatte sich nicht verändert. Leise atmend lag sie auf dem Rücken, alle paar Sekunden von einem der mit kräftigem Zischen an- oder abschwellenden Luftkissen in eine geringfügig veränderte Position geschoben. Ann-Katrin fuhr ihrer Mutter zärtlich über die Wangen, sprach leise auf sie ein. Das Verhalten der bisher fast reglos vor sich hin dämmernden Frau änderte sich innerhalb weniger Sekunden. Sie warf ihren Kopf hin und her, stöhnte leise auf, fing heftig an zu atmen.
Ann-Katrin presste ihr Gesicht auf das der Mutter, wartete, bis sie sich langsam wieder beruhigte. »Sie hat mich erkannt«, flüsterte sie Braig zu, »was immer von ihrem Geist noch vorhanden ist, hat sich an mich erinnert.«
Er nickte, hielt ihre Hand, blieb neben dem Bett sitzen, bis Ragna ins Zimmer trat und sie zu den anderen Gästen bat.
»Wir haben euch zu uns eingeladen«, betonte sie, »nicht nur zu ihr.« Sie zeigte auf ihre Uhr. »Wenn ich euch jetzt nicht hole, wird es überhaupt nichts mehr.«
Braig folgte ihrem Blick, sah, wie schnell die Zeit vergangen war. Kurz nach neun. Sie lösten sich von der Kranken, schoben sich durch die dicht gedrängten Reihen der Besucher, bedienten sich am Büfett.
»Hier sind zwei Plätze.« Theresa Räuber winkte aus Marions Zimmer, wies auf eine schmale Gartenbank aus lila Kunststoff, die gerade frei geworden war. Braig nahm seinen Teller und das Glas, ließ sich neben Ann-Katrin nieder.
»Mama hat sofort reagiert?«, fragte Theresa.
Ihre Schwester nickte.
»So geht es schon die ganze Woche. Kaum hört sie meine Stimme, wirft sie den Kopf hin und her und stöhnt leise.«
Sie aßen von ihren Tellern, ließen Theresa
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