Schwaben-Hass
kleinen Sitzecke an, fragte ihn, ob er Earl Grey wünsche, stellte dann zwei Tassen samt Untertellern und Milchkännchen in die Mitte, nachdem der Kommissar dankend zugestimmt hatte.
»Sie kommen direkt vom Tatort?«, fragte Hofmann. Er nahm die bereitstehende Thermoskanne, schenkte beide Tassen voll. Seine Vorliebe für schwarzen Tee war in der ganzen Behörde bekannt; sie rührte von mehreren längeren England- und Wales-Aufenthalten des Oberstaatsanwaltes her, die dieser im Rahmen seines Jura- und Anglistikstudiums genossen hatte.
Braig bedankte sich. »Mit einer kurzen Unterbrechung, die mir beinahe eine Anzeige eingebracht hätte, ja.«
Hofmann sah ihn überrascht an, setzte sich dann seinem Gesprächspartner gegenüber.
»Es ging um eine Ohrfeige«, sagte Braig, berichtete von dem Vorfall. »Vielleicht war ich zu aufgewühlt von dem Mord in Winnenden. Und der verschmierten Außenwand einer neuen S-Bahn.« Er erwähnte das Verhalten der jungen Männer im Zug, brachte seinen Ärger unverhohlen zum Ausdruck. »Und jetzt frage ich mich einmal mehr, ob ich nicht immer stärker in pessimistischem Trübsinn versinke oder mir das alles nur einbilde, weil ich älter werde und durch meinen Beruf zur Schwarzmalerei tendiere.«
Jürgen Hofmann grinste, nahm einen Schluck Tee, stellte die Tasse zurück. »Und ich dachte immer, ich sei der Einzige, dem die Entwicklung unserer Gesellschaft zu schaffen macht«, bekannte er, »ein Fossil, das nicht mehr in die bunte, neue Welt passt.« Er schüttete Milch in die hellbraune Flüssigkeit, rührte um, hielt sich dann die Tasse unter die Nase, um das Aroma zu genießen. »Wo liegen die Ursachen? Was machen wir alle falsch? Was läuft schief in unserem Land?«
Steffen Braig zuckte mit der Schulter. »Fragen Sie nicht mich. Ich bin kein Psychologe.«
Hofmann trank von seinem Tee. »Offiziell sind es die Eltern, die ihre Kinder aus reiner Bequemlichkeit weitgehend sich selbst überlassen und sie mit dem Konsum immer neuer Artikel zufrieden stellen. Und die Lehrer, die sich zu wenig engagieren. So kolportieren es jedenfalls viele Medien.«
»Um von sich selber abzulenken.«
»Da könnte ich Ihnen zustimmen. Irgendwann lernt selbst der dümmste Heranwachsende, dass es zum Leben in unserer Gesellschaft einfach dazugehört, seine Schuhe auf die Sitze zu knallen und Scheißbulle – ich bitte um Verzeihung, – zu grölen, wenn es ihm Abend für Abend via Mattscheibe vorgemacht wird. Manchmal denke ich, wir sind Versuchskaninchen, Teilnehmer eines großen Experiments: Füttere deine Jugendlichen während der gesamten Zeit ihres Heranwachsens allabendlich mit Sex, Gewalt und Perversionen, dargereicht in Gossensprache und menschenverachtenden Bildern und warte dann ab, was sich letztendlich daraus ergibt. Müssen wir uns wirklich wundern?«
»Wundern?« Braig schüttelte den Kopf. »Höchstens darüber, dass sich die Kriminalitätsrate nicht noch stärker erhöht.«
»Wir haben keine Chancen, gegen die Sender vor zu gehen. Nichts. Wir brauchen gesetzliche Möglichkeiten, sie zur Verantwortung zu ziehen. Ein Versagen der Politik auf breiter Ebene.«
Braig dachte an die Mordfälle des letzten Jahres, deren Aufklärung ihnen lange zu schaffen gemacht hatte. Manager von Fernsehprivatsendern waren erschossen worden, wie sich später herausstellte, ihrer Verantwortung für die soziale Verwahrlosung eines jungen Mannes wegen. »Sie denken an die Mordserie im letzten Sommer?«, fragte er.
Hofmann nickte. »Hoffentlich bekommen wir die Vorgänge von heute schneller in den Griff.« Er atmete tief durch, wartete auf die Ausführungen des Kommissars. »Sehr mysteriös das Ganze, wie? Der Mann wurde von dem Auto erfasst und mitsamt seinem Stuhl durch die Luft geschleudert?«
Braig ging auf den Wunsch seines Gesprächspartners ein. »Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld. Alles durcheinander.« Er legte einen Packen Fotos auf die Platte, deutete auf eine der Aufnahmen. »Verbeulte Tische, Teile von Stühlen. Scherben von Gläsern, Haschen, Tellern, Tassen. Reste von Flüssigkeit. Der Inhalt zweier Abfallbehälter verstreut über den ganzen Platz. Und dazu noch die Überreste des Toten!«
Hofmann sah die Bilder der Reihe nach durch, schüttelte den Kopf. »Der Mann hatte keine Chance?« Es war eher eine Feststellung als eine Frage.
»Nicht einmal den Hauch einer Chance. Er wurde von dem Auto von hinten erfasst. Zeugen erklärten, er habe das auf ihn zu rasende Fahrzeug überhaupt nicht
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