Schwaben-Hass
meint, sie sei sehr aufgeregt gewesen und irgendwie fahrig, auffallend nervös, im Gegensatz zu den übrigen Gästen jedenfalls.«
»Gibt es eine Beschreibung der Frau?«
»Ja. Aber das bringt nicht viel. Klein und schlank, mittellange, dunkelblonde Haare, was immer das heißen mag. Schmales, fast knochiges Gesicht. Alter: Etwa Fünfunddreißig bis Vierzig. Bekleidet soll sie mit einem dunklen T-Shirt und Jeans gewesen sein. Ein älterer Mann behauptet, sie sei vom Tatort weg durch die Fußgängerzone Richtung B 14 gelaufen. Seitdem ist sie verschwunden.«
»Vielleicht handelt es sich um die Fotografin«, überlegte Hofmann, »sie traf sich mit dem Journalisten, um ihm die Bilder zu geben. Dabei erwischte es ihn.«
»Und in Wirklichkeit galt der Anschlag ihr oder beiden?«
Der Oberstaatsanwalt zeigte sich ratlos. »Vielleicht.«
»Wir müssen auf jeden Fall ein Phantombild der Frau erstellen und nach ihr fahnden lassen«, erklärte Steffen Braig, »ich habe Daniel Schiek die Adressen der Zeugen gegeben, er ist bereits mit seinem Laptop unterwegs. Wenn es jemand schafft, ein glaubwürdiges Porträt der Frau zu erstellen, dann er. Wir reichen es sofort an die Medien weiter, dann ist sie morgen in allen Zeitungen. Wer weiß, vielleicht spielt sie eine wichtige Rolle in der Angelegenheit.«
»Vielleicht, ja.« Hofmann schien nicht vollkommen überzeugt, starrte auf einen imaginären Punkt an der Wand. »Eines dürfen wir nicht vergessen«, sagte er dann, nach kurzem Überlegen, »den Zusammenhang.«
Braig ließ ihm Zeit, seinen Gedanken auszuführen.
»Zwei Journalisten werden innerhalb weniger Stunden nicht weit voneinander entfernt auf fast identische Weise getötet. Warum gerade sie?«
»Ich habe mir heute Mittag dieselbe Frage gestellt. Beck ist schon dabei, die beiden Biografien zu verfolgen, einen gemeinsamen Punkt in ihrem Leben zu finden. Wenn wir den entdecken, stoßen wir vielleicht auch auf die Hintergründe der Verbrechen und den oder die Täter. Falls es wirklich eine Verbindung zwischen den beiden Männern gibt.«
Hofmann nickte bedächtig: »Wissen Sie, was mir Angst macht?« Er runzelte die Stirn, schwieg ein paar Sekunden, bis er die passenden Worte gefunden hatte. »Wenn ein einziger Täter hinter den beiden Morden steckt, wer garantiert uns dann, dass er es nicht noch auf weitere Opfer abgesehen hat? Zwei Journalisten an einem Tag. Kommen noch andere hinzu? Sind wir vielleicht sogar verpflichtet, die Kollegen der Toten zu warnen?«
Braig starrte mit zusammengekniffenen Augen aus dem Fenster. Ihm dämmerte, was die Befürchtungen des Oberstaatsanwaltes bedeuten konnten. Er dachte an die letzten Jahre, in denen sie es mehrfach mit Serientätern zu tun gehabt hatten. Zuerst im Zusammenhang mit unerklärlichen Geschehnissen an der Bundesstraße 14 bei Lauberg, dann an ermordete Männer im Umkreis der geplanten Schwaben-Messe auf den Fildern, später mit Opfern rund um Backnang. Lag in den beiden heute geschehenen Verbrechen der Anfang einer neuen in der Öffentlichkeit bald große Unruhe und Besorgnis auslösenden Mordserie?
Er spürte das Zittern in seinem Arm, fühlte die Angst, die sich in ihm breit machte. »Warnen?«, fragte er. »Alle Journalisten des Landes warnen? Wovor?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Hofmann, »ich fürchte nur, dass uns nicht viel Zeit bleibt, die Verbrechen aufzuklären. Und wenn wir Pech haben, sind der oder die Mörder schon wieder unterwegs.«
4. Kapitel
Die Fachwerkhäuser rund um den weitläufigen, rechteckig angelegten Marktplatz von Schorndorf gelten als eine der reizvollsten städtebaulichen Kulissen des gesamten deutschen Südwestens. Wahre architektonische Perlen sind die Palm ’sehe und die Gaupp’sche Apotheke, zudem die ehemalige Brotlaube und die Giebelfront des Barockrathauses.
Steffen Braig und sein Begleiter, Kriminalmeister Bernhard Söhnle, passierten die unmittelbar vor dem Schorndorfer Bahnhof gelegene prächtige Szenerie auf ihrem Weg zu Ilka Breidle, der Frau des am frühen Morgen getöteten Radiomoderators, die in einer der von vielen Fußgängern belebten Seitengassen der Altstadt wohnte. Die Sonne ging gerade unter, die Schatten der schmalen Gebäudegiebel hüllten immer größere Teile der schmalen Straße in ein dämmriges Licht. Mehrere Verkäuferinnen und Verkäufer kleiner Läden hatten damit begonnen, ihre Auslagen vor den Schaufenstern ins Innere zu räumen.
»Dir geht es wieder besser?«, fragte Braig.
Söhnle kämpfte
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