Schwaben-Hass
Zeitung, alle Hauptworte mit weiblichen statt männlichen Endungen zu versehen. Galt diese Schreibweise bei vielen Abonnentinnen des Blattes anfangs als revolutionäre, in der deutschen Presse einzigartig emanzipatorische Innovation, verlor sie im Lauf der Zeit bei immer mehr Leserinnen an Faszination, weil sie das Schriftbild und die Lektüre deutlich beeinträchtigte, manchmal auch den Sinn des Inhalts ins Lächerliche Verkehrte. Könnten ProstituiertInnen ihre KundInnen ohne Zutun von ZuhälterInnen auswählen, wären SozialarbeiterInnen für die StricherInnen geeignetere AnprechpartnerInnen als PolizeibeamtInnen lautete einer der Spottsätze, mit denen die Praxis der tageszeitung kritisiert wurde. Nach über einem Jahrzehnt solch feministisch, emanzipatorischer Sprachkorrektur kehrte das Blatt daher – gegen den heftigen Widerstand einiger Redakteurinnen – zur allgemeinüblichen Ausdrucksweise zurück.
Ein Sachverhalt aber wurde immer deutlicher: Fehlten der aus einer aussichtslosen Position gestarteten Zeitung auch das finanzielle Polster und die für viele Informationen wichtigen Beziehungen zu den Einflussreichen der Republik, so verfügte sie quasi als Ausgleich über das wertvollste Kapital eines Mediums: Mutige Journalisten und Journalistinnen, von denen sich die meisten weniger narzistischer Selbstbespiegelung als vielmehr einem aufklärerischen, demokratischen Ethos verpflichtet fühlten. Keine Frage daher, dass die Aufdeckung der Hintergründe, die zum Tod des Kollegen Nuhr geführt hatten, sich bald zum wichtigsten Anliegen der Mitarbeiter der tageszeitung entwickelte.
Steffen Braig hatte sich gerade über den neusten Stand der Untersuchungen informiert, als die Chefredakteurin der Berliner Zeitung, Klaudia Kunst und ihr Mitarbeiter Gerd Nolski kurz nach Neun bei ihm im Landeskriminalamt eintrafen. Sie stellten sich gegenseitig vor, nahmen Braigs Angebot, einen Kaffee zu trinken, sofort an.
Der Kommissar schenkte ein. »Sie hatten eine angenehme Fahrt?«
»Wir nahmen denselben Zug wie Nuhr. Nur vierundzwanzig Stunden später. Makabre Sache, wie?« Klaudia Kunst war eine kleine, energisch wirkende Frau mit kurzen, dunklen Haaren. Sie füllte Milch in ihren Kaffee, rührte ihn um.
Braig holte seinen Schreibtischstuhl, setzte sich zu seinen Besuchern.
»Haben Sie neue Erkenntnisse?«, fragte Klaudia Kunst.
»Wir wissen jetzt, was Ihren Kollegen veranlasste, nach Winnenden zu kommen.«
Am späten Abend, unmittelbar im Anschluss an die Pressekonferenz, hatten sie es erfahren. Ein leitender Redakteur der Winnender Zeitung war auf sie zugekommen und hatte Beck ausführlich Rede und Antwort gestanden. Nuhr habe das Treffen mit einer Kontaktperson im Raum Stuttgart, so seine Aussage, zum Anlass genommen, alte Freunde bei der Zeitung zu besuchen, bei der er vor seiner Berliner Zeit jahrelang tätig gewesen war. Sie hatten annähernd zwei Stunden miteinander gesprochen, alte Erinnerungen ausgetauscht und über ihre derzeitige berufliche Tätigkeit diskutiert. Um wen es sich bei der Person handelte, die Nuhr nach seinem Redaktionsbesuch treffen wollte, sei leider nicht zur Sprache gekommen, auch nicht, welcher Art die Recherchen waren, die der Berliner Journalist durch diesen Kontakt zu erhalten hoffte.
Braig berichtete seinen Gesprächspartnern von dieser Information, fragte dann nach dem Computerbild der Frau, nach der sie suchten. »Sie haben das Foto gesehen?«
Beide nickten. »Sie ist uns unbekannt«, erklärte Gerd Nolski, »niemand kann mit dem Bild etwas anfangen.«
»Vielleicht haben wir hier bei uns mehr Glück«, hoffte Braig, »wenn Ihr Kollege sich hier mit ihr traf, ist anzunehmen, dass sie im Raum Stuttgart lebt. Irgendjemand wird sich an sie erinnern.«
Klaudia Kunst trank von ihrem Kaffee, steckte sich eine Zigarette an. »Ist es erlaubt?«
Braig nickte. »Sie haben wirklich keine Ahnung, um was es bei Nuhrs Story geht?«
Sie sah das Misstrauen in seinem Gesicht, seufzte laut. »Ich weiß, dass es unglaubwürdig klingt, aber es ist leider so. Natürlich wollten wir mit Harry über sein neues Projekt diskutieren, aber er wies ausdrücklich darauf hin, dass seine Informantin die Bedingung stelle, er dürfe mit niemand über das zentrale Thema ihrer Arbeit sprechen. Sie sah sich bedroht und fürchtete im Fall eines vorzeitigen Bekanntwerdens von Informationen um ihre leibliche Existenz. So erklärte Harry es uns. Er verbürgte sich persönlich für die Integrität seiner
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