Schwaben-Hass
wartete einige Sekunden, bis sich der Tumult und das eifrige Getuschel wieder gelegt hatten, fuhr dann langsam mit seinen Ausführungen fort.
»Wie wir inzwischen ermitteln konnten, standen beide Frauen, ilso die getötete Verena Litsche und die Halterin des Tatfahrzeugs, in einem freundschaftlichen Verhältnis zueinander.«
Wieder wurde Unruhe laut, Zwischenrufe unterbrachen ihn.
»Verhältnis?«
»Was heißt das konkret?«
»Eine lesbische Beziehung also?«
Die Beamten neben dem Pressesprecher rückten nervös auf ihren Stühlen hin und her.
»Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich möchte doch bitten!« Er nippte wieder an seinem Mineralwasser, ließ die Runde zur Ruhe kommen. »Leider wurde die Beziehung der Frauen durch eine schwere Auseinandersetzung zwischen den beiden getrübt. Die Ursache hierfür ist uns bisher nicht bekannt.«
»Lesbisches Eifersuchtsdrama?«
Der Zwischenruf des Korrespondenten einer weit verbreiteten Boulevardzeitung mit übelstem Leumund brachte den Redefluss des Pressesprechers erneut zum Erliegen.
»Ihre Phantasie in Ehren«, erwiderte der kurz angebunden, »aber wir sollten uns wieder den Tatsachen zuwenden.« Er nestelte an seiner Krawatte, blickte auf sein Manuskript. »Wir vermuten folgenden Tathergang: Verursacht durch das erwähnte Zerwürfnis kam es gestern Abend wohl kurz vor Mitternacht in der Wohnung der Dozentin zu einem Streit zwischen den beiden Frauen, in dessen Folge Teile des Mobiliars zerstört wurden. Was der Inhalt der Auseinandersetzung war und wie diese geführt wurde, wissen wir noch nicht. Wir fanden die Wohnung heute Morgen stark verwüstet vor, zudem konnten wir lediglich die Fingerabdrücke beider Frauen identifizieren. Unsere Schlussfolgerung: Der Streit eskalierte schließlich so sehr, dass er außerhalb des Hauses fortgesetzt und Frau Litsche von ihrer Freundin mit deren Wagen überfahren und getötet wurde.«
»Also doch: Lesben-Drama.«
Der Pressesprecher ließ sich nicht beirren. »Da sich am Steuer sowie im Inneren des Tatfahrzeugs nur die Fingerabdrücke der Halterin des Wagens fanden, vermuten wir, dass sie die mutmaßliche Täterin ist. Uns liegt allerdings kein Geständnis vor – auf diese Feststellung legen wir Wert. Die Frau ist seit heute Nacht spurlos verschwunden. Da sie der Tat dringend verdächtig ist, schreiben wir sie hiermit zur Fahndung aus. Wir bitten Sie inständig, meine Damen und Herren, uns bei der Verbreitung ihres Fotos und der persönlichen Daten zu helfen:
Es handelt sich um Frau Dr. Michaela König, 36 Jahre alt, schlank, dunkelblonde, lockige Haare, blaue Augen. Geburtsort: Heilbronn. Beruf: Dozentin an der Germanistischen Fakultät der Universität Tübingen.
Frau Dr. König wird dringend gesucht. Sie wird verdächtigt, ich wiederhole den Tatbestand hier noch einmal, ihre Freundin, Frau Verena Litsche, heute Nacht getötet zu haben. Wir bitten um ihre Mitarbeit. Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren.«
14. Kapitel
Das Haus in der Olgastraße lag von der Stadtbahnhaltestelle Österreichischer Platz keine dreihundert Meter entfernt. Steffen Braig und Bernhard Söhnle waren sofort im Anschluss an Braigs Gespräch mit den Redakteuren der tageszeitung in den Randbereich des Stuttgarter Zentrums gefahren, um Hans Breidles Büro zu durchsuchen.
Gerd Nolski hatte versprochen, Kontakt zur neuen Freundin Harry Nuhrs in Hamburg aufzunehmen, die er zwar flüchtig gesehen, an deren Namen er sich aber nicht mehr erinnern konnte. Vielleicht hatte Nuhr ihr gegenüber Andeutungen über das Thema der geplanten Veröffentlichung gemacht oder sie wusste sogar, wer die Frau war, von welcher der Journalist das Material zu erhalten hoffte. Nolski hatte zugesagt, sich schnellstmöglich darum zu bemühen.
Braig suchte Breidles Namen neben den Klingelknöpfen, fand ihn im vierten Obergeschoss eines modernen Hauses. Breite, großzügige Fensterflächen, eingerahmt von schmalen Metallfassungen prägten das Gebäude. Marmorierte Stufen im Treppenhaus, ein breiter, auf allen Seiten mit Spiegeln ausgestatteter Eingangsbereich, dazu die Namen und Berufsangaben der übrigen Bewohner.
Braig ahnte, dass es sich um eine hoch angesehene Bürolage handelte. Rechtsanwälte, Notare, eine Facharztpraxis im Erdgeschoss.
»Breidle muss sehr gut verdient haben«, meinte Söhnle, als der Fahrstuhl mit einem melodischen Gong das vierte Obergeschoss anzeigte, »diese Lage kann sich nicht jeder leisten.«
Sie traten in einen breiten, mit
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