Schwaben-Hass
trat auf die Straße.
Eine Gruppe junger Mädchen flanierte die Christophstraße stadtauswärts am Graf Eberhard vorbei, schwätzend, lachend, lärmend, ein älteres Paar folgte Arm in Arm.
Sie hielt den Kopf auf den Boden gerichtet, drückte sich hinter den großen, breitschultrigen Mann, passierte in dessen Schatten die Gerberstraße. Menschen mit leeren Einkaufstaschen, Familien mit kleinen Kindern kamen ihr entgegen.
Das Gesicht starr auf den Boden, wich sie ihnen aus, versuchte, in der Deckung des breitschultrigen Mannes zu bleiben. Erst kurz vor dem Österreichischen Platz löste sie sich von dem älteren Paar, schlich sich unter der auf Betonsäulen ruhenden Fahrbahn der Paulinenstraße durch, erreichte die St. Maria Kirche. Vor dem Karlsgymnasium lümmelten sich Jugendliche auf dem Boden, mit provokativen Bemerkungen und betont coolen Sprüchen um Aufmerksamkeit heischend.
Michaela König mischte sich in eine Gruppe älterer Leute, die in Wanderkluft der Silberburgstraße folgten, versuchte, in deren Schatten mitzuschwimmen. Er sah sie in dem Moment, als sie an der Kreuzung der Reinsburgstraße zur Seite trat, um die Fahrbahn zu überqueren.
Die Haare waren anders, vollkommen verändert, sowohl die Farbe als auch der Schnitt. Die Kleidung ebenfalls, selbst die Schuhe passten nicht zu der Frau, die er in Tübingen zweimal von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte. Dennoch erkannte er sie sofort: An ihrer Haltung, ihrer Bewegung, ihrer Art, sich umzusehen und die Leute in der näheren und weiteren Umgebung zu mustern. Er hatte sich ihre Figur eingeprägt, die Größe ihres Körpers, die Proportionen eintrainiert – jetzt im Frühling fiel es schwer, sich hinter allzu umfangreichen Stoffbergen zu verstecken. Seit sie dem Auftrag nachgingen, Litsche und alle Personen, mit denen die Frau Kontakte unterhielt, zu überwachen, hatte er sie verfolgt, ihr nachgespürt, sich mit ihrer Erscheinung vertraut gemacht.
Er sah sie aus der Gruppe der älteren Leute treten, die Silberburgstraße überqueren. Sie hielt den Kopf auf den Boden gesenkt, schielte auf den Gehweg, wo eine Handvoll Burschen damit beschäftigt waren, zwei in ultrakurzen Röcken an ihnen vorbei defilierenden Mädchen unter heftigem Gejohle ihre Aufmerksamkeit zu erweisen. Drei ältere Frauen beobachteten kopfschüttelnd das Geschehen, schimpften lauthals über das Verhalten der Jugendlichen.
Michaela König entdeckte den Mörder, als er seinen Kollegen mit einer heftigen Handbewegung auf sie aufmerksam zu machen suchte. Sie sah ihn aus den Augenwinkeln keine hundert Meter entfernt am Rand des Grüngeländes, das zur Karlshöhe hinaufführte stehen und in ihre Richtung starren. Er war es, ohne Zweifel. Sogar über die Straße hinweg erkannte sie seine feisten Backen, die dicken, widerlichen Koteletten, als er sich zur Seite wandte und auf einen ihr unbekannten Mann einredete.
Sie waren also zu zweit, mindestens. Ruhig bleiben, sagte sie sich, du hast nur dann eine Chance, wenn du jetzt nicht die Nerven verlierst. Die Angst ergriff ihren Körper trotzdem, innerhalb des Bruchteils einer Sekunde. Sie fühlte den dicken Kloß in ihrem Hals, spürte, wie alle Kraft aus ihren Beinen wich. Ruhig weitergehen und nicht umdrehen.
Sie lief geradeaus, die Reinsburgstraße entlang, überquerte diese dann und bog in die schmale Buschlestraße ab. Nur nicht zur Wohnung gehen, nicht verraten, wo diese sich befindet. Vielleicht wissen sie es noch nicht.
Die Buschlestraße, unter anderen Umständen eine der anmutigsten Szenerien der ganzen Stadt, war fast menschenleer, nur zwei ältere Frauen unterhielten sich eifrig miteinander. Michaela König fühlte die Panik in sich hochsteigen. Raus aus der toten Gasse, schrie es in ihr, schnell Richtung Innenstadt, wo es von Menschen wimmelt.
Sie bog in die Augustenstraße ein, folgte ihr stadteinwärts, überquerte die Silberburg- und die breite Paulinenstraße, blickte sich kurz um. Die Männer spurteten keine hundert Meter hinter ihr an parkenden Autos vorbei, gaben jetzt ganz offen zu erkennen, dass sie es auf sie abgesehen hatten. Michaela König rannte die Paulinenstraße entlang, bog in die Marienstraße ein, stürzte sich ins Getümmel der Fußgängerzone.
Menschenmassen strömten in beide Richtungen: Familien mit kleinen Kindern, mit vollen Einkaufstüten bepackte Frauen und Männer, einzelne Passanten mit angeleinten Hunden. Dazu alle paar Meter die bis in die Straßenmitte reichenden Hinweisschilder und
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