Schwaben-Hass
Verbindung setzen. Darf ich Ihnen seine Handy-Nummer geben?«
»Ich muss es mir überlegen. Geben Sie mir Zeit.«
»Okay. Aber eine wichtige Frage sollten Sie noch beantworten: Wo kann Frau Litsche ihre Untersuchungsergebnisse noch hinterlegt haben? Sie war sich der Gefahren ihrer Arbeit bewusst, sie muss vorgesorgt haben. Frau Gänsmantel als einzige Person, der sie das wertvolle Material anvertraute? Ich will es nicht glauben. So leichtsinnig kann sie nicht gewesen sein. Sie hatten persönlich Kontakt mit ihr. Wem vertraute sie, wo könnte sie eine Diskette oder schriftliche Aufzeichnungen verwahrt haben? Sie sind unsere letzte Hoffnung. Haben Sie sich nicht mit ihr darüber unterhalten?«
Zwei junge Männer bauten sich neben dem Telefon auf, schnitten Grimassen, deuteten auf das Foto einer nackten Frau, das der Größere in seiner Hand hielt. Lachend stolzierten sie vor ihr hin und her. Michaela König wandte den Blick von ihnen ab, überlegte fieberhaft.
»Sie haben keine Idee?«, fragte Klaudia Kunst. »Irgendeine Person, der sie in besonderem Maß vertraute, eine Frau oder ein Mann, die vielleicht ohne es selbst zu wissen, heute im Besitz ihrer gesamten Arbeit sind.«
Der junge Mann streckte ihr das Nacktfoto entgegen, formte seine Finger zu einer obszönen Geste. Lachend und grölend tanzten die Burschen ums Telefon. Sie schaute entnervt auf den Boden.
»Sie müssen mir Zeit geben«, erklärte sie, »ich werde überlegen, vielleicht fällt mir etwas ein. Ich weiß, wie wichtig es ist.«
Sie hängte ein, drückte sich an den Männern vorbei. Wem konnte Verena ihre Recherchen noch anvertraut haben?
Die Sonne blendete sie; genervt hielt sie sich die Zeitung vor die Augen. Sie musste in Ruhe darüber nachdenken, wem Verena Litsche eine zweite Diskette übergeben haben konnte. Welche Frau, welcher Mann kamen dafür in Frage?
Michaela König folgte der Sophienstraße, hatte die Stadtbahn-Station Österreichischer Platz vor Augen. Plötzlich fiel ihr das neue Café ein, das er ihr empfohlen hatte, Graf Eberhard. Seiner Beschreibung nach lag es hier gerade um die Ecke.
Ob sie es riskieren konnte? Sich unter eine Menschenmenge mischen und die Zeit verstreichen lassen, das Leben genießen? Wie lange hatte sie sich dieses simple Vergnügen schon nicht mehr gegönnt? Ewigkeiten, sagte sie sich, Lichtjahre, die nichts als Angst und Panik gebracht hatten.
Sie atmete tief durch, beschloss, den Besuch zu riskieren. Woher sollten sie wissen, dass sie sich in Stuttgart aufhielt?
Sie folgte der Gerberstraße, merkte, dass sie zu weit gegangen war, lief die Nesenbachstraße zurück, passierte eine Buchhandlung. Undercover prangte in großen Lettern auf der Eingangstür. Undercover, fragte sie sich, wirklich Undercover? Sie blieb stehen, betrachtete die Schaufenster, bemerkte, dass es sich um eine auf Krimis spezialisierte Buchhandlung handelte.
Das Café lag nur wenige Meter weiter. Michaela König überquerte den kleinen Vorplatz vor dem Graf Eberhard, betrat das Lokal, das trotz der relativ frühen Stunde fast bis auf den letzten Platz besetzt war. Sie musterte die Frauen und Männer, die an den zahlreichen Tischen hockten, konnte kein bekanntes Gesicht erkennen. Lachen, Rufen, der Lärm unzähliger Stimmen erfüllten den Raum, übertönt vom Klirren von Tellern und Tassen.
Sie fand einen Stuhl im rückwärtigen Teil des Cafés, bestellte und wurde überraschend schnell bedient. Wem hatte Verena eine zweite Diskette gegeben?
Sie sah sich um. Ein bunt gemischtes Publikum. Sie schaute durch die breiten Fenster auf die Passanten, die der Christophstraße meist stadteinwärts folgten. Familien, einzelne Frauen, hin und wieder eine Gruppe Jugendlicher. Wochenendeinkäufer, die in die Stuttgarter Innenstadt strömten. Welcher Person hatte Verena so vertraut, dass sie bereit war, bei ihr eine Diskette zu hinterlegen?
Michaela König trank von ihrem Kaffee, sah, wie der Schatten einer Wolke auf den Platz vor dem Graf Eberhard fiel. Hatten sie sich nicht sogar noch darüber unterhalten, spätabends im Ammerschlag, dass Verenas Recherchen sehr gefährlich wären und sie deshalb Sorge dafür tragen müsste, Disketten an sicheren Plätzen zu deponieren? Ich habe zwei Kopien, hatte Litsche erklärt, auf Diskette. Eine habe ich …
Michaela König dachte an den Abend im Ammerschlag zurück, versuchte sich zu erinnern. Es war spät gewesen, nicht mehr lange bis Mitternacht und sie hatte bereits einige Gläser Trollinger zu
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