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Schwaben-Hass

Schwaben-Hass

Titel: Schwaben-Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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viel intus, weil ihre Freundin so lange nicht aufgekreuzt war.
    Sie nippte an ihrer Tasse, hob den Arm, um sich einen Kuchen zu bestellen. Die Bedienung, dem Alter nach eine Studentin, reagierte prompt, kam an ihren Tisch. Sie äußerte ihren Wunsch, – und – sah draußen auf der Straße das breite Gesicht des Bärtigen!
     
    »Den gedeckten Apfelkuchen?«, vergewisserte sich die junge Frau.
    Michaela König nahm ihre Worte nicht wahr. Der Mann lief langsam am Café vorbei, beobachtete die Passanten, die ihm entgegenkamen. Der Kopf, der Bart, seine ganze Haltung – er war es, ohne jeden Zweifel. Genauso, wie sie ihn in Tübingen in der Nacht und morgens auf dem Bahnsteig gesehen hatte.
    Sie schob erschrocken ihren Oberkörper zurück, starrte dem Mann ängstlich nach. Ihre Beine schlackerten, ihr ganzer Körper vibrierte. Der Verbrecher hier in Stuttgart. Auf der Suche nach ihr. Was sonst?
    »Verzeihung, den gedeckten Apfelkuchen?«, wiederholte die Bedienung.
    Michaela König schüttelte den Kopf. »Ich möchte zahlen«, sagte sie.
    Die junge Frau schaute sie überrascht an. »Zahlen«, brummte sie, »ah ja.«
    Michaela König reagierte nicht. Ihr Mund war trocken, im Hals ein dicker Kloß. Draußen auf der Straße spähte der Verbrecher die Passanten aus, in der Hoffnung, sie in die Hände zu bekommen. Ob er allein unterwegs war?
    Wohl kaum. Wahrscheinlich hatten sie den Mörder fürs Erste aus dem Verkehr gezogen, weil das Foto in der tageszeitung ihn so deutlich entlarvte und dafür andere, ihr unbekannte Killer ausgesandt, sie aufzufinden und unschädlich zu machen. Jeder konnte zu ihnen gehören, jeder draußen auf der Straße, jeder hier im Café. Sie musste mit allem rechnen.
    Michaela König fühlte, wie eine Gänsehaut ihre Arme und Beine überzog. Sie fröstelte am ganzen Körper, spürte, wie ihr schlecht wurde. Der ganze Raum schien sich zu drehen, Tische und Wände waren in Bewegung. Erschrocken klammerte sie sich an ihrem Stuhl fest.
    »Ist Ihnen nicht wohl?«, fragte die Bedienung. Sie stand neben dem Tisch, nahm ihr den Blick aufs Fenster.
    Michaela König atmete tief durch, versuchte, sich zu konzentrieren. »Nicht wohl?«, wiederholte sie gedankenverloren, wich den Augen der jungen Frau aus, die sie mit besorgter Miene taxierte.
    »Doch, doch«, fügte sie schnell hinzu. Ihre Stimme krächzte trocken.
    »Hier ist Ihre Rechnung.«
    Sie nahm das Papier an sich, zog ihre Geldbörse, reichte der Bedienung irgendeinen Schein. Die Frau kramte in ihrer Tasche, gab mehrere Münzen zurück. Michaela König steckte sie kommentarlos ein.
    Wie waren sie auf Stuttgart gekommen? Zufall?
    »Schönen Tag noch«, sagte die junge Frau, nahm das Kaffeegedeck, verschwand hinter den Tresen.
    Es war kein Zufall, garantiert nicht. Dass sie die Gänsmantel in Tübingen wenige Minuten vor dem Eintreffen des Journalisten aufgespürt hatten und jetzt hier am Rand der Stuttgarter Innenstadt nach ihr suchten, konnte nicht auf Zufall beruhen. So viele Glückstreffer kamen nicht einmal im Märchen vor.
    Nein, es gab nur eine Erklärung: Das Telefon. Sie hatten ihre Gespräche mit der Redaktion abgehört. Das Telefon war der wunde Punkt.
    Ein Pulk junger Leute, lachend, scherzend, einander ironische Bemerkungen zuwerfend, betrat das Café. Erschrocken sah sie auf, musterte die Gesichter. Ob sie die Restaurants, Lokale, Konditoreien ebenfalls schon überprüften?
    Die neuen Gäste schoben sich bis zu ihrem Tisch vor, rückten Stühle zurecht. Michaela König erhob sich schwerfällig, suchte nach der Toilette. Im Waschraum betrachtete sie sich im Spiegel. Sie konnten sie nicht erkennen. Die rabenschwarzen, kurzen Haare, das bleiche, fast knochige Gesicht – sie hatte nicht mehr viel Ähnlichkeit mit der Frau, die an der Tübinger Universität germanistische Vorlesungen und Seminare anbot. Eher mit einer älteren Witwe, die ihre Tage in Lokalen verbrachte, um der totalen Langeweile zu entgehen. Selbst wenn sie die Grundzüge ihres Gesichts auswendig gelernt und sich ihren Anblick Tag und Nacht eingeprägt hatten, würden sie sie nicht identifizieren. Sie durfte sich nur nicht auffällig verhalten.
    Die Tür zur Toilette ging auf, eine dicke Frau schob sich am Waschbecken vorbei. Michaela König schrak zusammen, betrachtete die verschwitzte Person mit weit aufgerissenen Augen. Die Frau kümmerte sich nicht um sie, verschwand in der kleinen Kabine.
    Es war Zeit zu gehen. Michaela König wischte sich den Schweiß von der Stirn,

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