Schwaben-Hass
tageszeitung-Redakteurs. »Woher wusste Ihr Mitarbeiter von Frau Gänsmantel?«
»Frau König hatte ihre Stimme erkannt.« Klaudia Kunst schilderte den Erpressungsversuch der Frau und die Enthüllung ihrer Identität.
»Sie hätten uns informieren müssen.« Braig wusste selbst, wie realitätsfremd seine Worte waren. Keine Macht der Welt würde einen Mitarbeiter der tageszeitung davon abhalten, alles zu versuchen, die Hintergründe des Todes ihres Kollegen zu ermitteln – zumal es der Polizei bisher in keiner Weise gelungen war, Licht in das Dunkel zu bringen. Das war nicht nur ihr Recht, vielmehr ihre journalistische Pflicht. Statt auf Konfrontation zu den Leuten zu gehen, musste er sich um sinnvolle Kooperation bemühen.
Er bat die Journalistin, ihn schnellstmöglich über neue Erkenntnisse zu informieren, beendete das Gespräch, sah, dass gerade eine neue E-Mail eingetroffen war. Braig bestätigte den Empfang, las den Text. Erwin Beck, der mit Markus Schöffler und dessen Team in Tübingen mit der Untersuchung des Gänsmantel-Bauernhofes beschäftigt war, meldete den Fund der Fingerabdrücke Hasim Focas im Stall unmittelbar neben dem Fundort der Leiche. Focas Spuren, eindeutig.
Der Albaner, überlegte Braig, jetzt auch als Mörder der Bäuerin in Tübingen. Warum hatte er in diesem Fall seine Spuren so offenkundig hinterlassen? Überheblichkeit eines zu selbstsicher gewordenen Serientäters oder Unachtsamkeit, die auch einem Profi unterlaufen konnte oder Zeitmangel?
Braig holte sich die vorläufigen Ermittlungsprotokolle vom Mord an Frau Gänsmantel auf den Bildschirm, studierte sie ausgiebig. Nur die Aussage des vor dem Anwesen wartenden Taxifahrers, er habe Weidmanns Erkundungsrundgang durch den Bauernhof fast lückenlos verfolgen können, weil der Journalist in den von ihm selbst hell erleuchteten Räumen gut auszumachen war, er sich unmittelbar vor dem Betreten des Stalles sogar noch kurz mit ihm verständigt hatte, auf jeden Fall auf ihn zu warten, hatte den Redakteur vor einer Verhaftung bewahrt – zu schnell nach dem gerade geschehenen Verbrechen war er dort eingetroffen.
War das die Erklärung für Focas Versäumnis? Mord in aller höchster Eile, den journalistischen Verfolger unmittelbar im Nacken spürend?
Braig fand keine Zeit, länger darüber nachzudenken, weil das Telefon läutete.
»Wir haben einen anonymen Anruf auf Band«, erklärte Bernhard Söhnle, »hast du Zeit?«
»Zum Fall Litsche?«
»Nicht direkt. Hör mal kurz zu.«
Braig wartete ein paar Sekunden, hatte die Stimme dann am Ohr. Es handelte sich um eine Frau, die krampfhaft darum bemüht war, ihr Schwäbisch in hochdeutsche Aussprache zu pressen.
»Ihr Herre von der Polizei hent wohl gar net gmerkt, dass der Breidle da, also der vom Radio, den sie jetzt ermordet hent, noch a ganz spezielles, ja, wie soll i bloß sage, hano, a Zimmer halt ghett hatt und zwar da bei uns in Esslinge am Marktplatz im vierte Stock. Ihr solltet euch mal drum kümmere, wer weiß, vielleicht findet ihr dann den Halunke, der ihn umbracht hat. Also nix für ungut.«
Braig hörte das Hupen eines Autos im Hintergrund, dann war der Anruf zu Ende.
»Und? Was meinst Du?«, fragte Söhnle.
»Klingt verblüffend echt. Wie schwäbisches Volkstheater.«
»Sollen wir es nachprüfen?«
»Wann kam der Anruf?«
»Vor wenigen Minuten. Die Esslinger Kollegen wollen wissen, ob wir es übernehmen.«
Eine weitere Bleibe Breidles, überlegte Braig, in Esslingen klang interessant. Warum sollte sich jemand, dazu noch eine der Aussprache nach einfache Frau die Mühe machen, sie für dumm zu verkaufen? »Ich denke an das viele Geld, über das Breidle verfügte. Von dessen Herkunft haben wir immer noch keinen blassen Schimmer. Vielleicht hilft uns der Tip weiter. Außerdem liegt noch der Schlüsselbund mit mehreren Schlüsseln bei mir, den mir seine Frau geliehen hat. Wir wussten nicht, wozu er die alle brauchte, du erinnerst dich?«
»Ja, natürlich.«
»Du hast Zeit?«
Söhnle sagte zu, fragte nach der Straße.
»Ich weiß, wo sie liegt. Keine fünf Minuten vom Bahnhof.«
Sie nahmen die nächste S-Bahn, liefen die belebte Esslinger Bahnhofstraße entlang, dann über die Neckarkanalbrücke halb rechts zum Marktplatz. Die alte Stadt zeigte sich hier von ihrer schönsten Seite. Frisch restaurierte Haus-Fassaden rings um den ganzen Platz, die St. Dionys-Kirche und der Neckarkanal an der Seite, das einladende Panorama der Burgmauer mit den Weinreben über den
Weitere Kostenlose Bücher