Schwaben-Hass
Aufzählung verschiedener Kfor-Standorte, in zeitlicher Anordnung.
Ein dritter Packen enthielt die Auflistung verschiedener Städte in, wie Braig zu erkennen glaubte, Bulgarien und der Ukraine mit bestimmten Namen und Adressen sowie die Namen verschiedener Grenzstationen zwischen Bulgarien und Jugoslawien, denen Namen der Frauen und Daten aus den letzten Jahren zugeordnet waren. »Verstehst Du, um was es geht?«
Rössle kratzte sich am Hals. »Schmuggel, oder?«
Braig überlegte, blätterte die Papiere vorsichtig durch. Er studierte die Zahlen, die den jeweiligen Kfor-Standorten beigefügt und meist mit einem Fragezeichen versehen waren, betrachtete die Lebensläufe der jungen Frauen. Plötzlich verstand er, was die Zahlen, die Pläne, die ganzen Aufzeichnungen bedeuten konnten. »Oh nein, das darf nicht wahr sein!« Er richtete sich auf, zog sein Handy vor, gab eine Nummer ein. »Wo hast du das her?«
Helmut Rössle deutete auf das Fußende des Bettes. »Ein klassischer Safe.«
»Im Bett?«
»Der Sockel, auf dem das Bett steht, isch mir einfach zu massiv gwese. No han i ihn untersucht.«
Braig klopfte dem Kollegen anerkennend auf den Rücken, hatte einen Gesprächspartner im Handy. »Braig. Danke. Den Knödler hätte ich gern. Ist der im Haus?«
Zwei Minuten später hatte er den Mann in der Leitung. Er entschuldigte sich für die Störung am Samstag Nachmittag, erfuhr, dass der Kollege ohnehin im Amt weilte, weil sie eine Razzia vorbereiteten, die am Abend stattfinden sollte. Günther Knödler war der Leiter des LKA-Dezernats Menschenhandel, Braig hatte schon mehrfach mit ihm zusammengearbeitet. Er erklärte ihm, was sie entdeckt hatten, schilderte ihm die Lage der Standorte, las ihm aus den Lebensläufen vor.
Knödler pfiff laut durch die Zähne. »Wie kommt ihr auf so was?«
Braig erklärte den Sachverhalt.
»Ich will nicht unverschämt sein«, erklärte Günther Knödler, »aber ich möchte das sofort haben. Das klingt nach einer recht großen Sache. Wir sind seit Monaten in der Richtung engagiert, tragen puzzleartig Stein für Stein zusammen. Da hat sich jemand ganz schön Mühe gemacht.«
Vierzig Minuten später saß Braig mit einigen der mit Menschenhandel befassten Kommissare und Sachbearbeiter des Amtes über den Papieren, wertete sie aus, hörte sich die Komplimente der Kollegen an. »Rössle müsst ihr loben, der hat das Zeug entdeckt.«
Sie versprachen, dem Techniker bei Gelegenheit einen Apfelmost, Rössles Lieblingsgetränk, auszugeben.
Was Breidle da zusammengetragen hatte, waren die Biografien junger, oft minderjähriger Frauen, die von skrupellosen Menschenhändlern in Bordells bei den Standorten der in Mazedonien und im Kosovo tätigen Kfor-Soldaten zwangskaserniert worden waren. Wie Knödler erklärte, hatten die professionellen Frischfleischbeschaffer sofort reagiert, wo immer in den letzten Jahren ein neuer Kfor-Standort gemeldet worden war. In unmittelbarer Nähe der Kaserne bot wenige Tage später schon ein spezielles Etablissement seine Dienste an. Die Frauen für die Bordells wurden aus völlig verarmten Regionen Bulgariens, Rumäniens, der Ukraine und Russlands rekrutiert, Ländern, die nicht all zu weit vom Einsatzgebiet der Liebesdienerinnen entfernt lagen. Die Grenzbeamten der betroffenen Staaten, durch marginale Löhne ohnehin kaum überlebensfähig, sahen gegen geringe Entgelte gern über die weiblichen Exund Importe hinweg. Je mehr Soldaten von der Kfor stationiert wurden, desto besser liefen die Geschäfte. Gewinnsteigerungen waren vor allem durch den Einsatz immer jüngerer Frauen möglich: Minderjährige Huren erzielten höhere Preise.
»Wir wissen inzwischen von 14-, 15-, 16-jährigen Mädchen, die in einer Größenordnung von mehreren Tausenden mit Versprechungen einer Tätigkeit als Verkäuferin oder Bedienung oder gar einer Model- und Filmkarriere in Deutschland oder Österreich aus ihrer Heimat weggelockt und in Mazedonien oder im Kosovo kaserniert wurden«, erläuterte Knödler auf Nachfrage Braigs. »Ausgerechnet für Soldaten, die nach dem NATO-Einsatz gegen Jugoslawien dort Recht und Ordnung, die Grundlagen eines zivilisierten Zusammenlebens wiederherstellen sollen.«
»Auch deutsche?«
»Soweit wir informiert sind, ja, auch wenn die offiziellen Stellen das vertuschen wollen.« Knödler schenkte sich Kaffee in eine Tasse, trank ihn schwarz. »Und die fähigsten Pferdchen, um im Jargon der Händler zu sprechen, werden nach Deutschland gebracht, um hier in
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