Schwaben-Hass
aussteigen, dort eine Kleinigkeit essen, dann bei der Zeitung anrufen und sofort zurückfahren, um bei Dunkelheit zu versuchen, in die Wohnung zu kommen. Wenn sie mit ihren Überlegungen nicht völlig daneben lag, würde sie ihre Verfolger in die Stadt am Neckar locken, währenddessen sie sich in Ruhe ein neues Quartier suchen konnte.
2 ½ Stunden später war sie mit der Redaktion in Berlin verbunden. Sie hatte Heilbronn erreicht, einen Imbiss zu sich genommen, dann einen Kaffee getrunken, hatte nach einem öffentlichen Telefon gesucht.
»Sie wissen, wo ich bin. Seit heute Morgen sind sie wieder hinter mir her«, giftete sie in den Apparat. »Ihre Leitungen werden überwacht. Die verdammten Schweine sind immer mit dabei.«
»Wie bitte?« Die Chefredakteurin der tageszeitung schwieg überrascht. »Sie glauben …«
»Es kann kein Zufall sein. Ich war achtzig Kilometer weg von Tübingen, in einer anderen Stadt. Wieso läuft der Mörder plötzlich hinter mir durch die Straßen?«
»Oh, mein Gott. Das darf nicht wahr sein!«
»Ich muss Ihnen wohl nicht erklären, was das für mich bedeutet.«
Sie versuchte, ihre Situation zu erklären, wies auf die Ermordung Waltraud Gänsmantels hin. »Wie sonst sollen die meinen Zufluchtsort und die Identität der Bäuerin entdeckt haben, wie?«
Je länger sie sprach, desto hektischer wurden die Reaktionen am anderen Ende der Leitung. Ihre kurze Erwähnung, dass es den Mörder in Stuttgart erwischt hatte, dass er zumindest schwer verletzt sein musste, ging im Stress der Überlegungen fast unter.
»Wir werden das aufklären, garantiert, heute noch, sofort, das verspreche ich Ihnen!« erklärte Klaudia Kunst. »Wir werden alles in Bewegung setzen, um diesen Verdacht aus der Welt zu räumen.«
Sie sah sich prüfend um, musterte alle Passanten, die den Heilbronner Bahnhof verließen oder in seine Richtung liefen. »Ich war in Sicherheit«, erklärte sie, »aber jetzt sind sie wieder hinter mir her. Und wem habe ich das zu verdanken? Ihnen, weil sie unfähig sind zu verhindern, dass ihre Leitungen abgehört werden.«
Das heftige Getuschel, die aufgeregten Stimmen am anderen Ende der Verbindung. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sie wieder zu einer ruhigen Gesprächsführung fanden.
»Wir werden wirklich alles tun, was in unserer Macht steht, diesen schrecklichen Verdacht aufzuklären«, versprach Klaudia Kunst nochmals, versuchte dann, ihre Gesprächspartnerin an ihren schon am Vortag und am Morgen geäußerten Wunsch zu erinnern. »Sie haben darüber nachgedacht, wo Frau Litsche die Diskette deponiert haben kann?«
»Wann denn? Auf der Flucht vor den durch ihre Nachlässigkeit informierten Mördern Verenas? Was glauben Sie, womit ich in der Zwischenzeit beschäftigt war? Noch bin ich am Leben, das ist im Moment das Einzige, was mich interessiert.«
Die Redakteurin versuchte, Michaela König zu beruhigen. »Ich wollte Sie nicht drängen, es tut mir Leid. Aber wir würden gern alles tun, Ihnen zu helfen. Unser Kollege Weidmann, wartet auf Ihren Anruf. Er hält sich die ganze Zeit für Sie bereit, kommt an jeden Ort, den immer Sie vorschlagen. Zu Zweit haben Sie größere Chancen. Bitte, sehen Sie es von dieser Seite. Und vielleicht finden Sie im gemeinsamen Gespräch doch noch zu einer Lösung, was den Aufenthaltsort der Disketten Frau Litsches betrifft. Darf ich Ihnen nochmals seine Handy-Nummer geben?«
Michaela König wusste, dass die Frau Recht hatte. Zu Zweit war die Chance zu überleben größer, vielleicht sogar das Versteck mit den Untersuchungsergebnissen Verenas zu finden. Ob sie den Mann sofort im Anschluss an das Gespräch mit Berlin anrufen sollte?
Sie sah auf die Uhr, beendete die Konversation, spürte die Angst. Mit dem Journalisten Verbindung aufnehmen konnte sie später noch. Jetzt musste sie schnellstmöglich von hier verschwinden. Wenn sie die Leitungen in Berlin tatsächlich überwachten, wussten sie inzwischen Bescheid, dass sie sich in Heilbronn aufhielt. Sie musste den nächsten Zug nehmen, aus der Stadt verschwinden, auf einem Umweg nach Stuttgart zurückfahren, falls sie auf die Idee kamen, die direkte Linie zu überwachen.
Michaela König lief die paar Schritte zum Bahnhof, erkundigte sich nach der Verbindung über Schwäbisch Hall, holte sich eine Fahrkarte. Fünfzehn Minuten später hatte der Triebwagen die Stadt verlassen. Sie drückte sich in einen der schmalen Zweier-Sitze, nickte ein, träumte, schrak auf. Draußen war es dunkel geworden, am
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