Schwaben-Hass
Tübinger Straße, Sophienstraße, Reinsburgstraße. Am Johann-Sebastian-Bach-Platz hatte sie die Hasenbergsteige erreicht. Sie keuchte die Straße langsam hoch, spürte die Anstrengung. Autos fuhren vorbei, eine Gruppe Jugendlicher kam ihr entgegen. Als sie die Abzweigung der Hohentwielstraße erreicht hatte, sah sie den Mann keine hundert Meter hinter sich. Dunkle Jacke, blaue Jeans. Irgendwoher kam er ihr bekannt vor. Sie spürte Angst, floh erneut, sprang auf die andere Straßenseite, rannte die Stufen der Rötestaffel hinunter. Um Atem ringend erreichte sie die Reinsburgstraße, folgte ihr bergan. Als sie die Seyfferstraße erreicht hatte, sah sie den Mann wieder hinter sich, den Bärtigen im Schlepptau.
Ihre Hektik hatte sie verraten, so viel war ihr klar. Sie hatte ihnen den Weg zu ihrem Versteck gezeigt. Außer sich vor Wut und Angst rannte sie die Seyfferstraße entlang. Als sie die Rotebühlstraße überquerte, sah sie das Schild der S-Bahn-Station. Sie musste es versuchen.
Michaela König hechelte zur Unterführung, sprang die Stufen der langen Rolltreppe in den Untergrund, drückte sich an zwei älteren Frauen vorbei. Voller Angst drehte sie sich um, starrte nach oben, hörte die Stimmen zweier Männer.
Die Lautsprecherdurchsage kam in dem Moment, als sie den Bahnsteig fast erreicht hatte. »Bitte Vorsicht am Gleis 2, Zug nach Plochingen fährt ein.«
Sie sprang die Rolltreppe vollends hinunter, spurtete neben dem einfahrenden Zug her, erreichte die letzte Tür. Passagiere stiegen aus, andere ein. Als die Männer am Ende der Station auf den Bahnsteig stürmten, wurden die Türen geschlossen, der Zug fuhr ab.
Fix und fertig ließ sich Michaela König auf das Polster fallen, wie lange konnte sie das noch durchhalten?
30. Kapitel
Ilka Breidle schwor Stein und Bein, von der Esslinger Wohnung ihres Mannes nichts zu wissen. »Esslingen? Woher denn, Herr Kommissar?«
Bernhard Söhnle hatte sie in Schorndorf abgeholt und direkt in die Stadt am Neckar gebracht.
»Sie wissen nicht, wozu er sich das Zimmer hier hielt?«
Die Frau stand in dunkler Trauerkleidung vor dem Haus am Rand des Marktplatzes, blickte nach oben. »Warum sollte ich Sie anlügen?«
»Vielleicht, weil Sie uns etwas verschwiegen haben.«
Ilka Breidle schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Sie hatte sich sofort bereit erklärt, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Seit dem unverhofften Tod ihres Mannes war sie in der Wohnung ihrer Schwester, hielt ihren Teeladen geschlossen.
Braig zeigte ihr den Schlüsselbund ihres Mannes, schloss mit ihm die Haustür auf. »Er passt, sehen Sie?«
Ilka Breidle zuckte ratlos mit der Schulter.
»Haben Sie sich nicht schon gefragt, wofür er die vielen Schlüssel benötigte?«
»Für sein Büro«, antwortete sie, »die diversen Schränke dort.«
Braig seufzte laut, bat die Frau, mit Söhnle und ihm nach oben zu kommen.
Bertha Eisemann wartete mit neugierigem Gesicht vor ihrer Tür. »Sie bringet Besuch?«, tönte sie laut durchs Treppenhaus.
Braig blieb auf der letzten Stufe vor dem dritten Stockwerk stehen, ließ Frau Breidle passieren. »Sie kennen diese Dame?«, fragte er.
Bertha Eisemann schüttelte den Kopf. »Wieso denn? Müsstet mir voneinander wisse?«
Er hatte fest darauf gehofft, dass Ilka Breidles Widerstand bei einer Gegenüberstellung brechen würde. Auf diese Entwicklung war er nicht vorbereitet. »Ich dachte, vor zwei oder drei Wochen …« Er wusste nicht recht, wie er es formulieren sollte. »Ich meine, der Streit … Sie verstehen?«
Bertha Eisemann betrachtete ihn interessiert, deutete dann direkt auf Frau Breidle. »Ja, aber doch net mit dere da!«
»Nicht?« Er konnte seine Enttäuschung nicht länger verbergen.
»Noi«, rief die Frau, »die Schelle, mit der der grauft hat, isch koi so vornehme Person, wie die da.«
Ilka Breidle hatte das Gespräch aufmerksam verfolgt. »Sie scheinen mich zu verwechseln, Herr Kommissar.« Sie blickte sich fragend im Treppenhaus um. »Wollten Sie mir nicht die Wohnung meines Mannes zeigen?«
Braig bat Söhnle, Frau Eisemann eingehend betreffs der Person zu befragen, mit der Hans Breidle gestritten hatte, begleitete Ilka Breidle nach oben. »Tut mir Leid«, sagte er, »es ist sicher keine angenehme Überraschung, die wir für Sie haben.«
Er klopfte an die Tür, öffnete sie, sah Rössle unmittelbar vor sich am unteren Ende des Bettes knien und dort mit einem Werkzeug herumschrauben. Der Techniker arbeitete in Breidles
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