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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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dreist. Der pure Populismus. Am besten, du hörst es dir selbst an. Die bringen es garantiert im Radio. Es ist kurz vor elf.«
    »Wovon redest du?«
    »Du wirst es sofort merken. Schalte die Nachrichten ein.«
    Sie legte den Hörer auf, erweckte das kleine Radio zum Leben, das seit Jahren auf einem der oberen Regalbretter an der Wand ihres Büros dahinstaubte, ein Relikt ihres Vorgängers. Es rauschte in ohrenbetäubender Lautstärke, wurde erst erträglich, als sie einen Sender gefunden hatte. Sie bekam gerade noch mit, wie mit einem satten Plopp eine Flasche geöffnet und schäumendes Bier in ein Glas gefüllt wurde, dann wies ein Werbespot auf das natürlichste Müsli aller Zeiten hin. Neundorf dachte an ihr karges Frühstück am Morgen, hatte erneut das satte Plopp der Flasche und das Einfüllen des Bieres in den Ohren. Sie überlegte noch, dass das irgendwie nicht zusammenpasste, hörte das Signal der Nachrichtensendung.
    Sie wusste sofort, wovon ihr Lebensgefährte gesprochen hatte. Die Meldung kam gleich nach der Schilderung der Folgen eines schweren Erdbebens in Indonesien. Meck, einer der maßgeblichen Wirtschaftslobbyisten des Ländles, hatte sich wieder einmal zu Wort gemeldet. Neue, schärfere Gesetze brauche das Land. Kriminelle Ausländer gehörten auf der Stelle ausgewiesen, dorthin, wo sie ihr schmutziges Handwerk gelernt hatten. Angesichts des schrecklichen Mordes an einem jungen, unschuldigen Mädchen mitten in Stuttgart müsse man jetzt endlich konsequent durchgreifen und die Mörderbrüder in ihre Heimat Serbien abschieben.
    Neundorf ersparte sich die restlichen Hetzparolen, schaltete das Radio wieder aus. Es war seit Jahren das gleiche Ritual: Kaum erschütterte ein die Gefühle besonders anrührendes Verbrechen die Öffentlichkeit, suchten Wirtschaftslobbyisten und abgehalfterte Politiker fast ausschließlich aus den Reihen der Staatspartei, sich mit populistischen Parolen wieder ins Gespräch zu bringen. Inhaltsloses Gekläff eines verwahrlosten Straßenköters, wusste Neundorf. Doch so dumm und fern jedes sinnvollen Gedankens dieses Gekeife auch schien, es blieb nicht ohne Wirkung. Die Boulevardmedien griffen es dankbar auf, um – wenn schon nicht mit Inhalten, so wenigstens mit hohlem Geschwafel – die eigenen Verkaufszahlen in die Höhe zu puschen. Auch wenn man es nicht für möglich hielt – eine erstaunlich große Menge geistiger Tiefflieger ließ sich davon beeinflussen und glaubte, in plumpem Schwarz-Weiß-Denken die Lösung aller Probleme finden zu können.
    Was nützte es, sich darüber aufzuregen? Das dumpfe Fäkal-Gehetze sicherte einem Hohlkopf die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und seiner Partei die Stimmen des reaktionären Mobs. Dass seine Aktion den Druck auf die Ermittler weiter erhöhte, sodass sie in Gefahr gerieten, in blinden Aktionismus zu verfallen und ohne ausreichende Nachprüfungen eventuell Unschuldige als Mörder zu präsentieren – wen kümmerte das schon?
    Die Realität sah anders aus: So sehr man angesichts der bisher vorhandenen Informationen über die Festgenommenen geneigt war, ihnen das Verbrechen zuzuschreiben, – noch waren sie nicht so weit, einen der Brüder als Täter überführen zu können. Ihnen fehlte sowohl das Geständnis als auch der endgültige Beweis. Der Blutfleck konnte durchaus so auf die Treppe gelangt sein, wie Nenad Vukmirovic dies – zugegeben erst nach einigem Zögern – geschildert hatte. »Wenn die wirklich gerannt sind und er dabei ausrutschte oder stolperte, kann es dabei zu dieser Verletzung gekommen sein«, war Dr. Keils ausdrücklicher Befund, nachdem er den Arm des jungen Mannes genau inspiziert hatte.
    Nein, sie hatten kein Recht, von der Festnahme des oder der Täter zu sprechen, dazu war es eindeutig zu früh. Sie mussten die Verhöre am heutigen Mittag und ihr Gespräch mit der Mutter der beiden Verhafteten abwarten, vielleicht brachte das den Durchbruch – in die eine oder andere Richtung.
     
    Sie hörte ihr Telefon wieder läuten, nahm ab.
    »Hallo, Frau Hauptkommissarin«, meldete sich der Anrufer.
    Sie glaubte, nicht richtig zu hören, ließ sich auf ihren Stuhl fallen. »Ist das Realität oder Traum?«
    »Ich fürchte, nach dem, was ich in der Zeitung lese, hast du zum Träumen nicht viel Zeit.«
    »Das ist richtig. Wie geht es dir? Wirklich besser?« Sie dachte an die Karte, die sie vor Kurzem von ihm erhalten hatte, bedankte sich.
    »Ich kann wieder laufen. Ohne Hilfe. Langsam, aber immerhin. Und die

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