Schwaben-Sumpf
ihr ins Innere. Es gab kaum Platz in der schmalen Diele, alles war vollgestellt. Kisten, Kartons, ein Regal, zwei kleine Schränke. Sie schoben sich vorsichtig daran vorbei, nahmen in einem kleinen, nicht weniger beengten Raum auf einem Sofa Platz. Er hatte Mühe, seine Beine auszustrecken, drückte sie zwischen zwei breite Kartons, die neben und unter dem Tisch verstaut waren.
»Was ich darf anbieten?«, fragte sie in holprigem Deutsch.
»Nemojte se praviti posla«, antwortete Braig, »machen Sie sich bitte keine Mühe.«
Snezana Vukmirovic schüttelte den Kopf, verschwand in der schmalen Küche, brachte eine Schüssel mit Waffeln und Keksen, stellte dann noch ein Tablett mit Gläsern, einer Flasche Weißwein und einer Karaffe Wasser auf den Tisch. »Bitte Sie sich bedienen.« Sie blieb vor ihnen stehen, wischte sich mit einem Tuch das Gesicht sauber, wartete, bis beide auf die Karaffe deuteten. Sie steckte das Tuch weg, schenkte zwei Gläser voll.
»To je pravo jugoslovensko gostoprimstvo«, sagte Braig, »typisch jugoslawische Gastfreundschaft.«
»Vi znate moj jezik«, fragte sie, setzte sich zu ihnen an den Tisch, »Sie kennen meine Sprache?«
»Ich bin in Belgrad geboren«, erklärte Braig. »Meine Mutter stammt aus Serbien, mein Vater aus Kroatien. Ich war drei Jahre alt, als meine Mutter mit meiner Schwester und mir nach Deutschland ging. Seither lebe ich hier. Mit achtzehn erhielt ich die deutsche Staatsbürgerschaft.«
»Das freut mich für Sie. Dann kennen Sie unsere Situation. Mein Mann kommt aus Serbien, ich aus Kroatien. Dejan und Nenad sind in Deutschland geboren, sie wollen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Nach dem Abitur. Aber jetzt wollen sie sie zurückschicken. Dabei kennen sie Serbien und Kroatien fast nicht, können nicht einmal die Sprache richtig.«
Neundorf sah die Tränen in ihren Augen, schüttelte den Kopf. »Sie werden nicht zurückgeschickt. Das ist nur die Hetze unverantwortlicher Politiker. Wir müssen erst einmal untersuchen, ob Dejan und Nenad wirklich für den Tod des Mädchens verantwortlich sind. Noch wissen wir es nicht.«
Sie hatten die beiden jungen Männer gestern den ganzen Nachmittag bis in den Abend hinein wieder verhört. Felsentretter, Beck, Koch, sie selbst. Ohne Resultat. Sowohl Dejan als auch Nenad Vukmirovic waren bei ihrer Version geblieben. Sie hätten Jessica Heimpold in der Stadt getroffen, sie dann die Sünderstaffel bis zur Georg-Elser-Staffel hochbegleitet, wären in hohem Tempo sowohl hinauf, als auch hinuntergesprungen. Das Blut auf einer der Stufen müsse aus der Verletzung resultieren, die Dejan sich bei seinem Stolpern zugezogen habe.
»Das geht nicht mehr lange«, war Felsentretter am späten Abend überzeugt, »die werden jetzt jeden Tag bearbeitet, bis sie es zugeben. Die sind bald weich.«
Die Rauferei um das Mädchen einige Wochen vorher am Eckensee war beiden jungen Männern offensichtlich peinlich. »Wir sind keine Schläger, wirklich nicht«, hatte Nenad Vukmirovic betont, aber die Provokation sei nicht hinnehmbar gewesen. »Die Schlampe lässt sich gleich mit zwei dreckigen Jugos ein«, seien sie angemacht worden, und daraufhin sei Dejan eben »der Gaul durchgegangen«. »Waren Sie nicht auch mal jung?«, hatte er abschließend gefragt.
»Dejan und Nenad sind meine Söhne«, sagte Snezana Vukmirovic, »Sie können nicht von mir verlangen, ich reden schlecht von meine Kinder. Ich will ihnen helfen, verstehen Sie, aber ich darf nicht mit ihnen sprechen. Am Montagmorgen ich habe sie zum letzten Mal gesehen, ich weiß nicht, wie es ihnen geht.«
»Sie sollen nichts Schlechtes über sie erzählen, das ist nicht unsere Absicht. Leider verbieten es die Gesetze, dass Sie im Moment mit ihnen sprechen können. Wir müssen schnellstmöglich die Wahrheit herausfinden, dann wird sich das ändern. Jessica Heimpold ist heute Morgen beerdigt worden. Dejan und Nenad haben sie gut gekannt?« Neundorf hatte mit acht Kollegen der Schutzpolizei die Beerdigung auf dem Dornhaldenfriedhof begleitet, die Familie und ihre Angehörigen vor einer großen Horde allzu Neugieriger abgeschirmt. Catherine Heimpold war kaum fähig gewesen, den Sarg ihrer Tochter zu begleiten, zwei Frauen hatten sie untergehakt und langsam, sehr langsam zum Grab und wieder zurückgeführt. Die tröstenden Worte der jungen Pfarrerin, so einfühlsam und verständnisvoll sie auch formuliert waren, hatten sie nicht erreicht. Neundorf hatte Theresa Räuber sofort erkannt. Die
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