Schwaben-Sumpf
runterrannten, und verletzte sich dabei am Arm. Aber Blut? Vielleicht hat er geblutet, ich weiß es nicht, es war nach Mitternacht und ziemlich dunkel, viele Lampen hat es dort nicht. Fragen Sie ihn doch selbst, mir hat er nichts von Blut erzählt.
OS K: Es kommt ja auch nicht von diesem angeblichen Sturz. Den haben Sie sich eben aus dem Ärmel gezaubert, das haben wir selbst miterlebt. Aber das hilft Ihrem Bruder jetzt auch nicht mehr. Wir wissen ja alle, wann er sich verletzte und weshalb. Sie und wir.
N V: Na ja, ich sagte es ja schon, wahrscheinlich, als er stürzte …
KHK N: Wenige Meter von dem Blutfleck, der von Ihrem Bruder stammt, fanden wir die Leiche Jessica Heimpolds. Sie wurde in der Nacht von Freitag auf Samstag kurz nach Mitternacht ermordet. Können Sie uns das erklären?
Neundorf konzentrierte sich an dieser Stelle noch einmal voll auf die Gesichtszüge des jungen Mannes. Die Konfrontation mit dem Tod des Mädchens ließ ihn buchstäblich erstarren. Innerhalb weniger Sekunden waren die Reste der aufgesetzten Unbekümmertheit, die er sich zumindest in Ansätzen das gesamte Verhör über bewahrt hatte, verflogen. Die Veränderung seines Gesichts, ja seiner ganzen Körperhaltung, folgte fast vollständig dem klassischen Muster: Angespanntes Warten auf die nächste Frage, erstaunte Wahrnehmung ihres Inhalts, ungläubige Reflektion ihrer Bedeutung, vehemente Ablehnung der Beschuldigung. Entweder er war ein verdammt guter Schauspieler oder …
Die Kommissarin hielt das Band an, ließ das Bild stehen. Sie lehnte sich in ihren unbequemen Schreibtischstuhl zurück, drückte den Kopf auf die Oberkante der Lehne, starrte an die Decke. Sie blieb einige Minuten so liegen, versuchte die Reaktion Nenad Vukmirovics, die sie sich gestern schon mehrfach angesehen hatte, erneut zu analysieren. Hatte er wirklich nichts vom Tod des Mädchens gewusst? Diese Behauptung jedenfalls war das Einzige, was er ihnen in den folgenden Sequenzen des Verhörs noch präsentiert hatte. Das kann nicht sein. Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Dejan und ich, wir haben damit nichts zu tun.
Das höre ich jetzt zum ersten Mal, hatte Koch getönt, da hören Sie es doch, der Kerl schauspielert vom Anfang bis zum Schluss. Das hat er im Fernsehen gelernt, dort zeigen die doch all diese abgebrühten Figuren, jetzt will er genauso cool auftreten und spielt hier den großen Helden.
Neundorf wollte den Einwand des Oberstaatsanwalts nicht gerade so zur Seite schieben, spürte, dass es ihr schwerfiel, den jungen Mann zu durchschauen. Was sprach für, was gegen ihn?
Die laute Stimme Felsentretters draußen auf dem Gang riss sie aus ihren Gedanken. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, schaltete das Gerät aus, begab sich aus ihrem Büro. Der bullige Kollege war gerade dabei, ein Telefongespräch zu beenden, maulte ein paar abschließende Worte in sein Handy, steckte es in seine Tasche.
»Wird schon nicht so schlimm gewesen sein«, hatte sie verstanden.
Neundorf blieb stehen, sah seine grimmige Miene. »Ärger?«
Er winkte mit seiner Rechten ab. »Ach was, mein Hausdrache ist sauer, weil ich kein Sondereinsatzkommando schicke.«
»Was ist passiert?«
»Sie wurde wieder belästigt«, sagte er, formulierte das letzte Wort mit Spott in der Stimme, verzog sein Gesicht zu hämischem Grinsen. »Das heißt: Madame fühlte sich belästigt. Mal wieder. Langsam bin ich es gewohnt. Den Wahn hat sie von einer Nachbarin. Alte, verkalkte Kuh. Und weil der Alte Bulle ist, soll er mit Knarren und Panzern anrücken.«
Sie wusste nicht, was sie von seiner Schilderung halten sollte, ersparte sich jeden Kommentar.
»Angeblich hängen am Kurpark irgendwelche Halbstarken rum und machen Frauen an. Aus dem Hallschlag, behauptet die Alte. Vor allem morgens, wenn es noch relativ ruhig ist, und abends.« Er sah Neundorfs interessierten Blick, schüttelte den Kopf. »Nicht mal der Rede wert.«
»Hier in Cannstatt?«
»Verdammte Kacke, ich sage dir doch, das ist nicht der Rede wert.«
»Dann informieren wir die Kollegen. Sie sollen ein Auge drauf haben.«
»Niemand wird informiert! Mein Hausdrache soll sich nicht so aufspielen. Die will nur im Mittelpunkt stehen.« Er marschierte zu seinem Büro, drehte sich kurz um, fragte beiläufig nach ihren Ermittlungen. »Was ist mit den Jugos? Gibt es noch einen Zweifel?«
»Was denkst du? Hast du mit ihren Freunden gesprochen?«
Er kam zurück, baute sich mitten im Gang vor ihr auf. »Allerdings. Da komme ich gerade
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