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Schwaben-Sumpf

Schwaben-Sumpf

Titel: Schwaben-Sumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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auch mich schon belästigt haben, aber das interessiert dich ja nicht«, Sophia und ihre Freundin auf dem Weg von der Schule nach Hause am Rand des Cannstatter Kurparks blöd angemacht, dann betatscht und ihrer Schultaschen beraubt hatten.
    »Betatscht«, hatte er ins Telefon gebrüllt, »wann war das?«
    »Was weiß ich? Vor einer Stunde vielleicht.«
    »Und dann gibst du mir jetzt erst Bescheid? Du bist eine Rabenmutter!«
    Er hatte alles stehen und liegen lassen, war in Stephanie Riedingers Büro gestürmt, hatte die junge Kollegin zwischen Tür und Angel um Hilfe im aktuellen Fall gebeten und war nach Hause gerast. Sophia und ihre Freundin hatten sich halbwegs beruhigt. Er war zur Tiefkühltruhe geeilt, hatte die größte Eispackung geholt, die er finden konnte, sie in warmes Wasser gelegt, dann seine Tochter in die Arme geschlossen und sich geduldig ihren und den Bericht ihrer Mitschülerin angehört. Die südländisch anmutenden, etwa sechzehn bis zwanzig Jahre alten Männer hatten die Mädchen nicht nur mit dummen Sprüchen und obszönen Bemerkungen traktiert, dazu ihrer Schultaschen beraubt, sondern ihnen auch die Sweatshirts vom Leib gerissen und die ganze Aktion lachend und johlend auf Fotohandys gebannt.
    »Wir müssen die Polizei einschalten«, hatte die Mutter der Mitschülerin gefordert, kaum dass sie von dem Übergriff gehört und bei Felsentretter aufgetaucht war, »die müssen endlich etwas unternehmen.«
    Er hatte sich kopfschüttelnd in seinem Sessel aufgerichtet. »Etwas unternehmen, ja? Sie haben Humor. Wissen Sie, was das heißt? Da wird sich ein halber Polizeiposten – fünf, sechs Leute – mehrere Wochen lang auf Steuerzahlerkosten darum bemühen, die Typen aufzuspüren, um ihnen einen Bruchteil ihrer Beleidigungen, Belästigungen, Diebstähle, Überfälle, Schlägereien und sonstigen Entgleisungen nachzuweisen.
    Die jungen Herren werden dazu vernommen, einer nach dem anderen, Protokolle werden angefertigt, abgetippt, überprüft, miteinander verglichen. Wie viel Zeit dagegen die jungen Herren dafür aufzuwenden haben? Zwei, drei Stunden, keine Minute länger. Zwischen zwei Schlägereien sozusagen. Die Bullen werden sie doch nicht ihrer wertvollen Freiheit berauben wollen? Gott bewahre! Und dann? Was kommt danach?«
    Er hatte eine kurze Pause eingelegt, mit dem rechten Fuß auf den Boden gestampft. »Wenn wir viel Glück haben, kommt es tatsächlich zu einem Verfahren. In zehn, zwölf, vierzehn Monaten vielleicht. Und was passiert? Ein freundlicher Jugendrichter, extra von seinem von einem gepflegten Rosengarten umsäumten, weit draußen auf dem Land gelegenen Bungalow in die Stadt gefahren, wird sich in die Biografien der jungen Herren vertiefen, ihre ach so schwere, völlig unerträgliche Kindheit bejammern, von fehlendem Mitgefühl, mangelndem Verständnis und problematischer Sozialisation faseln und sie dann mit einem noch freundlicheren Schulterklopfen in die Freiheit entlassen. Und wo werden wir die Typen am selben Abend noch finden? Dreimal dürfen Sie raten!«
    Felsentretter war aus seinem Sessel gesprungen, hatte sich vor der Frau aufgebaut. »Dafür wollen Sie einen halben Polizeiposten fünf Wochen lang beschäftigen?«
    Ratlos hatte sie zu ihm aufgeblickt. »Was sollen wir dann tun? Nichts?«
    »Überlassen Sie die Typen mir, ich werde mich persönlich darum kümmern«, hatte er erwidert, vor den Augen der beiden Mädchen das Eis ausgepackt und in zwei Schüsseln serviert, dann zum Telefon gegriffen und Daniel Schiek, den fähigsten Grafiker des Amtes kontaktiert.
    »Wann kann ich bei dir vorbeischauen? Es ist dringend. Ich benötige die Visagen von einer Handvoll Halunken. Mehrere Augenzeugen, ja. Sie können sich gut erinnern, allerdings.«
    Keine Stunde später war er wieder im Amt, zwei junge Mädchen an seiner Seite.

21. Kapitel
    Reinhard Welter wohnte in einem alten, erst vor Kurzem frisch renovierten Haus mitten in der prächtig herausgeputzten Altstadt Schwäbisch Gmünds unweit des Rathauses. Neundorf kannte die Geschichte und die vielfältigen Sehenswürdigkeiten der annähernd achthundertfünfzig Jahre alten, vom Herrschergeschlecht der Staufer unweit ihrer Stammburg gegründeten Stadt, hatte jedoch weder Zeit noch Muße, sich auf die stimmungsvolle Atmosphäre des mittelalterlichen Stadtkerns einzulassen. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag hatte sie sich auf den Weg hierher gemacht, heute Morgen in aller Frühe aufgeschreckt vom Tod des Vaters des ermordeten

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