Schwaben-Wahn
dann auf ein anderes Thema zu sprechen. »Es gibt Neuigkeiten von der Geldübergabe.«
»Die Millionen sind wieder da?«
»Nein. Nur der Koffer im Wald.«
»Er ist wirklich leer?«
»Es ist nicht der Geld-Koffer.«
»Sondern?«
»Er wurde ausgetauscht. Das gleiche Modell, die gleiche Farbe. Aber er ist nicht identisch mit dem Koffer, in dem das Geld war. Die Techniker sind sich absolut sicher.«
»Er wurde ausgetauscht? Ich dachte, das Waldstück, in dem er deponiert wurde, ist abgeriegelt und wird auf den Kopf gestellt?«
»Das wird es auch. Kein Mensch kann erklären, wie der Austausch geschehen sein soll. Aber er muss stattgefunden haben. Definitiv.«
Er wusste nicht, was er dazu sagen sollte, hörte nur ihr hämisches Lachen, kurz bevor sie sich verabschiedete. »Du weißt, wie mich das freut? Babyface Koch, das ist Balsam für meine Seele.«
Braig steckte das Handy weg, spürte seinen hungrigen Magen. Er folgte der Königstraße Richtung Hauptbahnhof, schloss sich Neundorfs Häme an.
So sehr ihn seine privaten und beruflichen Sorgen plagten, die Tatsache, dass der Oberstaatsanwalt mit seiner übereilten Aktion eine kräftige Bauchlandung hingelegt hatte, ließ Genugtuung in ihm aufkommen. Dass sich der rechthaberische Despot in den Fallstricken seiner selbstherrlichen Anordnungen verfangen hatte, entschädigte für manchen Frust der vergangenen Tage.
Er kämpfte sich durch den Strom der Passanten der Fußgängerzone, beschloss, vor der Fahrt nach Fellbach einen kleinen Imbiss im
Grill-Point
zu sich zu nehmen. Er lief durch die Klett-Passage, nahm dann den mittleren Aufgang zum Bahnhof. Menschen drängten sich vor der Theke; Braig holte sich ein Fleischküchle mit Kartoffelsalat, bezahlte, ließ sich auf einem der Barhocker nieder.
Er hatte gerade gegessen, als sein Telefon sich wieder meldete.
Ann-Katrin war in der Leitung. »Ich bin unterwegs nach Backnang«, sagte sie, »Theresa bleibt im Krankenhaus.«
»Wie geht es deiner Mutter?«
»Unverändert. Wir haben mit Dr. Kammerer gesprochen. Er ist nicht sehr optimistisch.«
»Es wird noch länger dauern, bis sie ...«
»Wahrscheinlich überhaupt nicht mehr. Jedenfalls nicht mit vollem Verstand.«
»Woher will er das wissen? Kein Mensch kann sagen ...« Braig nahm das Tablett mit seinem Teller in die rechte Hand, brachte es zur Ablage.
»Dr. Kammerer war sehr rücksichtsvoll. Wir unterhielten uns fast eine halbe Stunde.«
Braig verließ das Lokal, suchte in der Bahnhofshalle die Treppen, die zur S-Bahn hinunterführten. »Du darfst die Hoffnung trotzdem nicht aufgeben.«
»Das tue ich auch nicht. Aber wir müssen der Realität ins Auge sehen. Der abrupte Wetterwechsel wirke äußerst belastend für den Kreislauf der meisten Menschen, meinte er. Sie war in Eile, das hat sie zu sehr angestrengt. Zehn bis zwölf Minuten Herzstillstand, das ist kaum wieder gutzumachen.«
»Theresa war bei dem Gespräch dabei?«
»Ja, sie bleibt bis heute Abend im Krankenhaus. Ich muss nach Backnang. Meine Dienststelle hat angerufen, weil Leute fehlen. Die Demonstration verläuft bestimmt wieder gewaltfrei.«
»Sie protestieren schon wieder?«
»Immer noch. Für ihr Krankenhaus. Morgen ist die Abstimmung im Kreistag über seine Zukunft.«
Er wünschte ihr alles Gute, verabschiedete sich, nahm die nächste S-Bahn nach Fellbach. Der Zug war nur schwach besetzt, Gruppen von Schülern und einzelne Frauen, der Hauptansturm würde erst am Nachmittag einsetzen. Braig suchte sich einen freien Vierer, lehnte sich ins Polster zurück. Er gab sich seiner aufkommenden Müdigkeit hin, genoss die kurze Zeit der Ruhe. Er merkte, wie er spürbar entspannte, spurtete erst in letzter Sekunde aus dem Zug. Vielleicht muss ich mich wirklich öfter in die Bahn setzen, um eine Auszeit zu nehmen, schoss es ihm durch den Kopf.
Er überquerte den Bahnhofsvorplatz, benötigte nur wenige Minuten, das Haus Emilie Herzogs zu erreichen. Die Namensschilder an der Eingangstür zeigten immer noch eine
E
und einen
K Herzog
an. Er läutete im unteren Stockwerk, hörte kurz darauf die Stimme Emilie Herzogs aus dem Lautsprecher. »Ja, bitte.«
»Braig vom LKA. Ich habe vorhin bei Ihnen angerufen.«
»Ich weiß. Kommen Sie.«
Der Türöffner summte, er trat in das helle, mit vielen Blumenstöcken geschmückte Treppenhaus. Emilie Herzog öffnete im gleichen Moment die Tür, als er die wenigen Stufen bewältigt hatte.
»Ich hoffe, ich störe nicht Ihre Mittagsruhe«, sagte er und reichte ihr
Weitere Kostenlose Bücher