Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwaben-Wahn

Schwaben-Wahn

Titel: Schwaben-Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
Vom Netzwerk:
Nervosität in ihrem Sessel hin und her rutschte. Ihr Gesicht verlor den letzten Rest an Farbe. »Sie meinen doch nicht etwa ...« Sie hatte Mühe zu sprechen, presste die Worte kaum verständlich hervor.
    »Ein ehemaliger Patient Ihres Sohnes«, fügte Neundorf hinzu.
    »Bitte, ich möchte Sie bitten ...« Die Frau verstummte mitten im Satz, schüttelte den Kopf. Eine Träne floss die linke Wange hinab.
    »Sie haben schlechte Erfahrungen mit dem Mann gemacht?«, fragte Neundorf.
    Emilie Herzog nickte. Sie schluckte, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, erhob sich von ihrem Platz. Sie lief am Tisch vorbei auf eine schmale dunkle Kommode zu, die an der Wand des Zimmers lehnte, zog eine Schublade vor, entnahm ihr ein weißes Stofftaschentuch. Als sie sich damit übers Gesicht fuhr, sah Braig, dass es nass von Tränen wurde. Der Mann musste ihrem Sohn, vielleicht gar der ganzen Familie übel mitgespielt haben.
    Sie wischte sich die Augen trocken, schnäuzte dann in das Tuch, zog ein zweites aus der Schublade. Mit zitternden Händen kam sie zu ihnen zurück.
    »Sie möchten nicht über diesen Mann sprechen«, sagte Braig.
    Sie drehte sich zur Seite, schaute ihm in die Augen, schüttelte den Kopf. »Das ging mehrere Jahre lang«, hauchte sie, nahm dann wieder Platz.
    Der Kommissar nickte verständnisvoll. »Gut, dann lassen wir das sein.« Er wartete, bis sie sich etwas beruhigt hatte, schaute sich währenddessen im Zimmer um. Über der dunklen Kommode hing eine runde, vergoldete Wanduhr, deren Ticken deutlich zu hören war, links und rechts daneben zwei schmale Teppiche mit dunkelroten Schlaufen. Sie mussten sich um diesen Zimmermann kümmern, soviel war klar, der Mann schien enger mit der Angelegenheit verflochten, als sie es bisher gedacht hatten. »Das tut uns Leid«, sagte Braig, »wir wussten nicht ...« Er brach ab, sah, wie sie ihm mit dem Kopf nickend Verständnis signalisierte. Der Name des Mannes hatte bei der Frau alte Wunden bloßgelegt. Wie sollten sie jetzt die schlimme Botschaft vom Tod ihres Sohnes überbringen, ohne sie vollends aus dem Gleis zu werfen?
    »Haben Sie außer Ihrem Sohn noch eine vertraute Person in Ihrer Nähe?«, fragte Neundorf. Braig merkte, dass seine Kollegin von denselben Überlegungen wie er selbst geleitet wurde.
    »Mein Sohn wohnt hier im Haus«, antwortete Emilie Herzog.
    »Ist noch jemand da?«
    Sie schüttelte den Kopf, schaute die Kommissarin fragend an.
    »Ein anderer Verwandter oder eine Freundin?«
    »Meine Freundin Olga, ja.«
    »Sie wohnt in der Nähe?«
    Emilie Herzog zeigte aufs Fenster. »Zwei Häuser weiter. Was wollen Sie von ihr?«
    »Wissen Sie, ob sie jetzt zu Hause ist? Wir würden sie gerne rufen, damit sie Ihnen Gesellschaft leisten kann.«
    »Weshalb?« Ihre Stimme hatte den zittrigen Unterton verloren. Sie schien langsam wieder an Kraft zu gewinnen.
    Braig spürte, dass Neundorf Hilfe suchend zu ihm hersah. Jenes unangenehme Gefühl ergriff von ihm Besitz, das ihn fast immer heimsuchte, wenn es eine Hiobsbotschaft zu verkünden gab. Weshalb nur hatte er diesen Beruf ergriffen?
    »Ist Ihre Freundin zu Hause?«, wiederholte Neundorf ihre Frage.
    Emilie Herzog nickte. »Natürlich. Wir haben vor wenigen Minuten miteinander telefoniert.«
    »Dann sollten wir sie rufen.«
    Braig sah die Miene der Frau, in der sich mehr und mehr wieder Besorgnis breitmachte.
    Sie nannte die Telefonnummer, beobachtete die Kommissarin, wie sie die Ziffern notierte.
    »Wir haben eine schlechte Nachricht für Sie.«
    Braig bemerkte wieder Neundorfs um Hilfe heischenden Blick. Sie litten beide unter der Hilflosigkeit der alten Frau. Er nickte ihr freundlich zu, übernahm dann den schlimmsten Part ihres Gesprächs. »Ihr Sohn Karl wohnt über Ihnen«, sagte er.
    Ihre Gastgeberin zeigte in die Höhe. »Seit zwei Jahren wieder«, erklärte sie. »Ich bin froh, dass er in meiner Nähe ist. Er kümmert sich viel um mich. Karl ist ein guter Junge.«
    Braig spürte den Kloß in seinem Hals, schluckte. »Sie sehen ihn jeden Tag?« Er hatte Schwierigkeiten, den Satz ordentlich zu formulieren.
    »Wenn ihn die Arbeit nicht zu sehr beansprucht. Karl ist Psychologe. Manchmal ist er wochenlang unterwegs. Das ist weniger schön.«
    Er nickte, deutete nach oben. »Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
    »Gestern Abend«, sagte sie. »Er hat fast den ganzen Tag geschlafen, weil er heute Nacht mit einem Freund in ein Konzert wollte. Mozart. Karl schwärmt von ihm. Mozart ist sein Ein und

Weitere Kostenlose Bücher