Schwaben-Wahn
»Damit mein Kollege Bescheid weiß«, erklärte er.
Der Kommissar bedankte sich, betrat den Raum. Er sah den aufmerksamen Blick eines jungen Beamten, der am Fenster lehnte und das Zimmer überwachte. »Braig«, sagte er laut, den Ausweis sichtbar in der Hand, »vom LKA.«
Die Gesichtszüge des Wachhabenden entspannten sich sichtbar. »Kommen Sie rein. Ich bin informiert.« Er war um die dreißig, hatte kurze blonde Haare, kam ihm entgegen, drückte ihm die Hand. »Ich hatte nur keine Ahnung, dass Sie so schnell Zeit finden.«
»Ich habe mich beeilt«, sagte Braig. Er drehte sich zur Seite, betrachtete die über und über vermummte Gestalt, die an der Längsseite des Raumes im Bett lag. Der Mann schien schwer verwundet, selbst Teile des Gesichts waren bandagiert. Nur die Partien um Augen und Mund lagen frei.
»Wollen Sie sich setzen?«, fragte der junge Beamte. Er wies auf einen schmalen Metallstuhl am Fußende des Bettes, hob ihn in die Höhe.
Braig nahm ihn entgegen, bedankte sich. Der Stuhl war schwerer als er gedacht hatte; er rutschte ihm aus der Hand, schlug an die Metallleiste des Bettes. Es gab ein schrilles, kreischendes Geräusch, das in den Ohren schmerzte. Der Kommissar entschuldigte sich, wurde mitten im Satz unterbrochen.
»Sind Sie immer so rabiat?« Der Mann im Bett hatte die Augen offen, warf ihm einen stechenden Blick zu. Seine Worte klangen seltsam unnatürlich, wie Stakkato.
»Tut mir Leid«, wiederholte Braig. »Er ist mir aus der Hand gerutscht.« Er setzte sich, betrachtete das Gesicht des Mannes. Über der Nase ragte der Ansatz einer Wunde aus der Bandage hervor, ein schmaler roter Streifen, der mitten in all dem Weiß seltsam deplaziert wirkte. »Friedrich Zimmermann?«, fragte er.
Der Verletzte reagierte nicht.
Braig sah, dass er seine Augen geschlossen hatte. »Sie scheinen ordentlich was abbekommen zu haben«, versuchte er es von neuem, »ich weiß nicht, inwieweit wir miteinander reden können oder ob Sie große Schmerzen haben.«
»Schmerzen? Was glauben Sie wohl?« Zimmermann hatte Schwierigkeiten, einen normalen Tonfall anzunehmen. Seine Worte kamen wieder in dem unnatürlichen Stakkato. »Wissen Sie, was mir passiert ist?«
»Ich glaube, Sie haben viel Glück gehabt«, antwortete Braig. Er sah, wie der Mann zu ihm her starrte.
»Sie sind gut«, stotterte Zimmermann, »ich bin dem Tod von der Schippe gesprungen. Dass ich noch lebe ...« Er verstummte, verzichtete darauf, den Satz zu vervollständigen.
Braig sah, wie sein linkes Augenlid fast ununterbrochen auf und nieder flatterte, ob von dem Unfall verursacht oder infolge einer nervösen Angewohnheit, wusste er nicht. Es war unmöglich, die Gefühlsregungen des Mannes zu erkennen, die Bandagen verbargen fast alles. »Sie hielten sich gestern Abend in Zuffenhausen auf«, erklärte Braig, »so gegen zwanzig Uhr. An einer Tankstelle.« Er vermied jeden vorwurfsvollen, moralisierenden Ton, erhielt als Antwort dennoch nur einen kräftigen Fluch. »Heute Morgen waren Sie dann in Ramtel unterwegs. Sie benötigten ein Auto.«
Trotz der Bandage war die Wut in Zimmermanns Augen deutlich zu erkennen. »Ihr wisst doch alles«, keuchte er in seinem seltsamen Stakkato, »ihr habt das Geld, den Karren«, er verfiel in ein fistelndes, feminin klingendes Gelächter, kam nur langsam wieder davon frei, »was wollt ihr jetzt noch?«
Braig gab ihm die Auskunft, die er wünschte. Er starrte dem Mann in die Augen, versuchte seine Reaktion zu erkennen. »Der Tote im Bärensee«, sagte er laut und deutlich, »weshalb?«
Zimmermann schien seine Schmerzen zu vergessen. »Was?«, schrie er. Er warf seinen Körper zur Seite so weit es ging, starrte zu Braig hoch, stöhnte. »Was für ein Toter?«
»Karl Herzog«, sagte Braig. Er sah das Erstaunen in Zimmermanns Augen.
»Der Psycho?«
»Er war Psychologe, hatte eine Praxis in Esslingen.«
»Tot?«
»Mord«, erklärte Braig, »heute Nacht.«
»Nein«, keuchte der Mann, »nein.« Er warf sich trotz seiner Schmerzen im Bett hin und her, stöhnte vor sich hin. »Das könnt ihr mir nicht in die Schuhe schieben.«
»Sie stehen unter Verdacht, ihn ermordet zu haben. Ihre Drohungen gegen Karl Herzog werden von mehreren Zeugen bestätigt.«
»Ermordet?« Zimmermanns Stimme überschlug sich. Er hatte Mühe, weitere Worte zu formulieren. »Das sind doch ...« Er stockte, rang um Atem. »Jahre«, stieß er hervor, »das ist Jahre her.«
Braig gab keine Antwort, beobachtete die Reaktion des
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