Schwaben-Wahn
Wangbiehler, nirgends aufzufinden, überlegte er. Was hatte das zu bedeuten? War der Mann wirklich so gefährlich, wie die Einträge ins Strafregister vermuten ließen und wie es ihm von allen, mit denen er über ihn gesprochen hatte, geschildert wurde? Hatte sein Verschwinden mit Karl Herzogs Tod zu tun, war er zum Mörder des Mannes geworden, der es gewagt hatte, ihm den Führerschein über längere Zeit hinweg zu entziehen?
Braig atmete tief durch, massierte seine Schläfen. Er musste es über Wangbiehlers Vater versuchen, musste mit dem Unternehmer sprechen, ihn danach fragen, wo sein Sohn anzutreffen sei, auch wenn es dem Mann vielleicht nicht gelegen kam.
Braig folgte der Feuerbacher Straße nach Leonberg, hatte einige Mühe, Thomas Feldner zu finden. Das Areal des Gebrauchtwagenhändlers lag etwas versteckt am Rand der Stadt, es kostete ihn mehr als zwanzig Minuten. Er parkte vor dem Eingang, lief an Autowracks vorbei auf eine nur schwer erkennbare Holzbaracke zu, hinter der Geräusche zu hören waren. Der Kommissar machte sich durch lautes Rufen bemerkbar, sah eine kleine, mit einem sommerlich anmutenden Muskel-T-Shirt gekleidete Gestalt auf sich zukommen. Der Mann machte einen ziemlich schmuddeligen Eindruck. Seine Hände waren mit fettigen, dunklen Schlieren überzogen, die Hosen von Öl- und Schmutzflecken übersät. Braig hielt Abstand, versuchte dem Geruch aus Schweiß und beißenden Chemikalien, der von dem Mann ausging, zu entgehen. Die Aussage Feldners jedoch ließ nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig.
»Fritz war gestern den ganzen Tag bei mir bis gegen sieben. Was der blöde Hund anschließend vorhatte, habe ich erst aus den Nachrichten erfahren. Sie können mir nichts anhängen. Ich habe nichts damit zu tun. Wir haben den ganzen Tag über gemeinsam einen alten Karren repariert. Dort vorne steht er.«
Braig verzichtete auf eine genauere Besichtigung des Fahrzeugs, ersparte es sich auch, den Mann ins Kreuzfeuer zu nehmen. Zimmermanns Alibi anzuzweifeln schien ihm wenig sinnvoll; der Mann hatte die Tankstelle überfallen, aber wohl kaum den Psychologen ermordet.
Braig ließ Feldner stehen, ohne ihm die Hand zu reichen, verließ das bis in die letzte Ecke mit verbeulten Unfallfahrzeugen voll geparkte Grundstück des Autohändlers. Er fühlte sich müde und erschöpft, spürte aufkommende Kopfschmerzen. Gestern noch die entspannende Rückfahrt von Venedig, heute völlig übergangslos den aufreibenden Wiedereinstieg in seine Arbeit. Er hätte sich das weiß Gott weniger aufreibend gewünscht.
Braig atmete kräftig durch, blieb vor dem durch einen hohen Maschendrahtzaun begrenzten Gelände Feldners stehen, zog sein Notizbuch mit der Telefonnummer Wangbiehlers aus der Tasche, wählte. Kurz darauf war er mit der Sekretärin des Unternehmers verbunden. Er nannte seine berufliche Funktion, äußerte den dringenden Wunsch, den Chef zu sprechen. Wenige Sekunden später hatte er ihn in der Leitung.
»Hier ist Braig vom Landeskriminalamt. Herr Wangbiehler, entschuldigen Sie bitte die Störung«, formulierte er vorsichtig, »wir arbeiten an einer weitläufigen Ermittlung, in deren Zusammenhang wir auf den Namen Ihres Sohnes stießen. Wir hätten ihn gerne befragt, weil wir auf seine Aussage angewiesen sind. Leider können wir aber seinen Aufenthaltsort nicht feststellen. Deshalb wende ich mich an Sie: Würden Sie mir bitte verraten, wo ich Ihren Sohn finde?«
»Sie sind vom LKA?« Die Stimme Wangbiehlers klang laut und kräftig, verriet Selbstbewusstsein und Tatkraft. »Darf ich fragen, in welcher Angelegenheit Sie ermitteln?«
»Darüber möchte ich mit Ihrem Sohn sprechen«, antwortete Braig. »Wie Sie sicher wissen, bin ich nicht befugt ...«
»Jajaja«, dröhnte es aus dem Apparat, »Sie müssen mich nicht belehren, ich bin kein Analphabet.« Der Mann klang gereizt.
Braig wartete, bis sich sein Gesprächspartner wieder etwas beruhigt hatte, wiederholte sein Anliegen. »Ich bitte Sie nur um die Adresse Ihres Sohnes.«
»Jetzt sofort?«
»Wenn möglich, ja.«
Wangbiehlers Antwort erfolgte prompt. »Nicht am Telefon. Johannes braucht seine Ruhe. Er darf nicht gerade so überfahren werden.« Er machte eine kurze Pause, setzte dann hinzu: »Können wir uns irgendwo treffen?«
Braig wunderte sich über den seltsamen Wunsch, trat zur Seite, weil eine Gruppe Jugendlicher auf Mopeds und Motorrädern die Straße entlangpreschte. »Weshalb?«
»Weil ich mich persönlich mit Ihnen unterhalten
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