Schwaben-Wahn
menschliche Stimmen zwar nachahmen, nicht jedoch ihren Sinn begreifen konnte. Im Grunde hatte Wangbiehler bis jetzt nichts als hohle Sprüche, aber nicht einen einzigen sinnvollen Gedanken von sich gegeben. Der Mann hatte die Spielregeln der modernen von Massenmedien geprägten Gesellschaft offensichtlich perfekt verinnerlicht: sich mit vielen stilistisch wohl formulierten und charmant vorgebrachten Worten bedeutungsvoll in Szene zu setzen, um damit über die Inhaltsleere seiner Aussagen hinweg zu täuschen; Das Nonplusultra der Erfolgreichen aus Politik, Wirtschaft und Showbusiness, die sich Tag für Tag im Licht der Öffentlichkeit suhlten.
Doch so einflussreich und unantastbar sein Gegenüber aufgrund seines Besitzes und seiner Beziehungen auch sein mochte, Braig wollte sich nicht länger durch Schaumschlägerei vorführen lassen. »So eigenständig, dass er auch im betrunkenen Zustand über die Straßen rast, dabei das Leben von unschuldigen Menschen riskiert und je nach Lust und Laune mal Asylbewerber, mal Polizeibeamte angreift und attackiert«, sagte er. »Ich kenne die Akte Ihres Sohnes.«
Wangbiehlers Haltung veränderte sich binnen einer Sekunde. Er verlor seinen jovialen Ausdruck, richtete sich in seinem Stuhl auf, starrte mit vor Zorn blitzenden Augen über den Tisch. »Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich kenne die Akte Ihres Sohnes«, wiederholte Braig. »Wir können zur Sache kommen: Wo hält er sich auf, wo kann ich ihn im Verlauf der nächsten Stunden noch sprechen?« Er gab Milch in den Kaffee, nippte an seiner Tasse, wunderte sich über den bitteren Geschmack.
Der Unternehmer schien von der unnachgiebigen Haltung Braigs beeindruckt, verzichtete auf jede Drohgebärde. »Er hat sich in der Tat indiskutabel verhalten, da gibt es nichts zu beschönigen.« Er griff nach seinem Glas, überlegte, stellte es unberührt wieder zurück. »Dennoch verlange ich eine faire Behandlung für ihn. Ich lasse es nicht zu, dass das Leben meines Sohnes zerstört wird, nur weil er einen so erfolgreichen Vater hat. Neid auf meine wirtschaftliche Position ist nicht angebracht. Ich habe mir meine Stellung hart erarbeitet.«
»Meine Bitte hat nichts mit Neid oder einer anderen unberechtigten Emotion zu tun«, verwahrte sich Braig. »Wir ermitteln in einem laufenden Verfahren und müssen daher auch mit Ihrem Sohn sprechen. Neben vielen anderen Personen.«
»Er ist nicht verdächtig?«
»Ihr Sohn ist volljährig. Der Inhalt meiner Fragen geht nur ihn etwas an.«
Wangbiehler warf ihm einen wütenden Blick zu, hatte offenkundig Mühe, an sich zu halten, die bisher gezeigte Contenance zu wahren. Statt erneut zu einer seiner nichts sagenden Formeln anzusetzen, griff er nach seiner Jackentasche, zog ein handbeschriebenes Blatt in der Größe eines kleinen Notizkalenders hervor, reichte es dem Kommissar. »Das ist seine Anschrift. Seit sechs Wochen.«
Braig überflog die Zeilen, sah, dass es sich um eine Adresse in Tübingen handelte. »Er ist heute noch zu erreichen?«
Wangbiehler deutete auf das Papier. »Wenn es unbedingt sein muss.« Er wollte zu einer weiteren Bemerkung ansetzen, ließ es aber sein. Erst als Braig seine nächste Frage formulierte, fiel er ihm mitten ins Wort.
»Ihr Sohn ...«
»Genau das ist es, was Johannes jetzt nicht brauchen kann. Leute, die ihn an seine schlechten Jahre erinnern. Schnüffler, die ihm keine Ruhe lassen. Er lebt in einer Spezialklinik, wird von Therapeuten betreut. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ich lasse mich das eine Stange Geld kosten. Er muss endlich auf eine richtige Bahn kommen. Aber es ist wichtig, dass sie dort in Ruhe mit ihm arbeiten können. Abgeschirmt von all dem, was früher um ihn herum ablief. Jede Unterbrechung dieser Therapie bedroht das gesamte Projekt. Es darf nicht scheitern! Was wollen Sie von ihm?«
Braig hatte seinem Gegenüber aufmerksam zugehört, hielt das Blatt mit der Tübinger Adresse in der Hand. »Vielleicht reicht es, wenn ich mit dem Leiter dieser Klinik spreche. Vorausgesetzt, er garantiert mir, dass Ihr Sohn sich seit mehreren Wochen wirklich in der Obhut seiner Mitarbeiter befindet und das Haus in dieser Zeit nicht verlassen hat!«
»Das wird er«, beeilte sich Wangbiehler zu antworten. »Wofür kassieren die so viel Geld?«
»Mit der Nummer erreiche ich das Sekretariat der Klinik?«
»Den Klinikchef persönlich.«
»Dann werde ich es vorerst dabei belassen. Vorausgesetzt, er bestätigt mir ...«
»Er wird es tun«, unterbrach ihn
Weitere Kostenlose Bücher