Schwaben-Wahn
Wangbiehler. »Ich kann mich auf Ihr Wort verlassen?«
Braig nickte, nahm das Notizblatt an sich.
»Es ist wichtig, dass Johannes diese Therapie ungestört durchzieht. Er muss es schaffen, verstehen Sie?« Wangbiehler blickte auf seine Uhr, sprang erschrocken von seinem Stuhl auf. »Sie müssen mich entschuldigen«, erklärte er dann, »mein Termin im Landtag. Ich bin es gewohnt, pünktlich zu erscheinen.« Er drehte sich um, winkte der Bedienung, drückte ihr einen Zehn-Euro-Schein in die Hand.
Braig wollte protestieren, seine Rechnung selbst bezahlen, um jeden Ansatz einer Abhängigkeit von dem Mann zu vermeiden, wurde von Wangbiehlers schneller Reaktion überrascht.
»Ich verlasse mich voll und ganz auf Ihre Einsicht«, erklärte der Unternehmer mit eisigem Lächeln, drückte ihm die Hand, lief dann schnurstracks zum Ausgang. Das Glas Wasser stand unberührt auf dem Tisch.
Braig sah ihm nach, überlegte, was im Landtag zu erledigen sei. Abgeordnete der beiden seit unzähligen Jahren herrschenden Parteien neu auf seine Interessen einschwören, ihnen die von ihm und seinen Unternehmerfreunden ausgeklüngelten wirtschaftspolitischen Ziele noch deutlicher vor Augen halten? Der Kommissar wusste um die bedenklichen Folgen der immer unverblümter von einer Hand voll Industriekapitänen dominierten Regierungspolitik, war sich bewusst, dass der Übergang von der Demokratie zur Lobbykratie voll im Gange war. Was nützten die Einwände politisch engagierter Bürger, wenn deren Inhalt den Interessen einflussreicher Wirtschaftsunternehmen widersprach? Viele Politiker in diesem Land waren längst zu willfährigen Statisten der Konzerne verkommen.
Braig trank den Rest seines Kaffees, schaute auf die Uhr. Fünf vor vier. Er verließ das Lokal. Draußen herrschte reger Betrieb. Mit Taschen bepackte Fußgänger überquerten den Vorplatz, eine Gruppe Jugendlicher lärmte laut diskutierend vorbei. Braig spürte die warme Luft, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er lief am Alten Schloss vorbei, erreichte den Karlsplatz, blieb am Rand der Markthalle stehen. Kinder spielten im Schatten des Gebäudes, Scharen von Tauben flatterten auf. Braig zog sein Handy vor, wählte die Nummer in Tübingen. Es dauerte mehrere Sekunden, bis sich eine Frauenstimme meldete.
»Klinik Dr. Stock, Edith von Welser.«
Er stellte sich vor, fragte nach Johannes Wangbiehler.
»Über Patienten kann ich Ihnen keine Auskunft erteilen«, antwortete die Frau.
»Dann geben Sie mir bitte den behandelnden Arzt oder Therapeuten.«
»Der wird Ihnen auch nichts anderes sagen können«, beharrte sie. »Die Arbeit unseres Hauses ist für Außenstehende absolut tabu.«
»Trotzdem. Ich muss den Arzt sprechen, der Johannes Wangbiehler betreut.«
»Das wird schwierig. Unsere Mitarbeiter sind stark beansprucht.«
Braig stöhnte laut auf, versuchte freundlich zu bleiben. Eine Gruppe Jugendlicher schlenderte vorbei, kickte kleine Steine vor sich her. Ein Kiesel prallte Braig ans Bein, ließ ihn erschrocken zusammenfahren. Er starrte den jungen Leuten mit bösen Augen hinterher. »Hören Sie, langsam habe ich genug von Ihrem Theater. Ich arbeite beim Landeskriminalamt, wie ich Ihnen bereits mitgeteilt habe, und stecke in schwierigen Ermittlungen. Wer immer in Ihrer Klinik für den Patienten Johannes Wangbiehler zuständig ist, ich muss ihn jetzt sofort sprechen. Jetzt sofort! Wenn Sie niemanden finden, geben Sie mir Ihren Chef persönlich.« Er hörte die Frau irgendwelche unverständlichen Ausdrücke vor sich hin murmeln, hatte plötzlich schmetternde Trompeten und laut dröhnende Pauken im Ohr – ein postmodernes Musikstück, dessen allen Harmonien widersprechende Melodie ihm irgendwoher bekannt vorkam. Er überlegte, wer als Komponist infrage käme, wusste keine Antwort. Nach ungewöhnlich langem Warten meldete sich eine männliche Stimme.
»Conrad hier. Sie wünschen Informationen zu einem unserer Patienten.«
Braig stellte sich noch einmal vor, wiederholte sein Anliegen.
»Sie wissen um unsere Schweigepflicht«, antwortete der Mann.
»Selbstverständlich bin ich darüber informiert. Die Brisanz unserer Ermittlungen gebietet es mir dennoch, nach Herrn Wangbiehler zu fragen. Wir müssen wissen, wo er sich gestern Mittag und heute Nacht aufgehalten hat.«
»Das tut mir Leid. Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft geben. Wir sind eine private Klinik mit ausgewählten Patienten, deren Intimsphäre wir ohne jede Einschränkung achten. Telefonische Auskünfte
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