Schwaben-Wahn
ausschließlich für den Konzern«, meinte Neundorf, »das macht ihn für Koch zu einer Art Vertreter dieser Firma.«
»Das klingt nicht gerade überzeugend.«
»Nein«, bestätigte seine Kollegin, »das scheint mir auch nicht besonders plausibel. Ein Argument Kochs hat mich trotzdem zum Nachdenken gebracht.«
»Was meinst du?«
»Die auffällige Art von Herzogs Tod. Wenn das nicht die öffentliche Demonstration einer Hinrichtung sei, wisse er nicht mehr weiter, meint er. Den Mann zu erschießen und dann in einem Auto nicht in einem See zu versenken, sondern das Fahrzeug daraus hervorragen zu lassen – wenn das keine öffentlichkeitsheischende Show sei, was dann? Er hat sofort ein Team von Psychologen beauftragt, sich der Sache anzunehmen.«
Braig wusste nicht, was er antworten sollte, musste erst über ihre Aussagen nachdenken.
»So absurd mir Kochs Überlegungen am Anfang erschienen«, meinte Neundorf, »ganz zur Seite schieben will ich sie nicht. Vor allem den letzten Punkt.«
»Das Auto im See.«
»Nicht versenkt, sondern plakativ aus dem Wasser ragend. Ein See, zu dem Autos keinen Zugang haben, mit einem Opfer, das vorher bereits ermordet wurde. Eine außergewöhnliche und wahrhaft demonstrative Hinrichtung. Und dann kommt da noch was hinzu. Die Techniker haben es in der Gesäßtasche des Toten entdeckt.«
»Um was geht es?«
»Ein handbeschriebenes Blatt. Es war feucht und die Schrift leicht verwischt, aber dennoch gut zu erkennen. Ein einziger Satz:
Ich bin das erste Schwein, das büßen muss
.«
»Das erste Schwein?«
»Genau so«, erklärte seine Kollegin, »du verstehst, was das bedeuten kann?«
»Du meinst ...« Er brach ab, schaute einem älteren Paar nach, das heftig miteinander schimpfend an ihm vorbeilief.
»Vielleicht liegt Koch doch nicht so daneben. Und wenn das Geld nicht bald bezahlt wird ...«
»Gibt es weitere Opfer? Mein Gott, doch nicht noch mehr Tote!« Braig schrie so laut, dass eine Frau überrascht zu ihm hersah. Er beachtete sie nicht weiter, überlegte fieberhaft: Karl Herzog nur als Erster einer ganzen Reihe ermordeter Menschen? Der Tote im Bärensee nur als Auftakt einer Serie spektakulär hingerichteter Opfer?
Er spürte, wie seine Beine zitterten, trat einen Schritt zur Seite, hielt sich an der Hauswand fest.
»Du bist noch da?«
»Allerdings. Ich beginne zu begreifen, in welche Dimensionen dieses Verbrechen reichen kann.« Er holte tief Luft, versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. »Ein handbeschriebenes Blatt. Ihr kennt die Schrift?«
»Wir sind dabei, sie zu überprüfen.«
»Haben seine Mörder ihn gezwungen, den Satz zu notieren, bevor ...«
»Ich weiß es nicht. Wir müssen abwarten, ob wir die Schrift identifizieren können.«
Braig spürte seine innere Unruhe, löste sich von der Hauswand, lief ein paar Schritte, blieb dann wieder stehen.
»In der Gesäßtasche Herzogs fanden sie außerdem den Teil einer vergoldeten Kette«, fuhr Neundorf fort. »Einer gewaltsam zerrissenen Kette, wie Rössle meint. Ich werde Stefanie Herzog und die Mutter des Toten fragen, ob sie sie kennen.«
»In seiner Gesäßtasche?«
»Bei dem Blatt, ja.«
»Wie sieht die Kette aus?«
»Sie besteht aus schmalen, etwa zehn Zentimeter langen, vergoldeten Metallplättchen. Die Techniker arbeiten noch daran, ich habe nur Fotos. Billiges Material laut Rössle.«
»Was bedeutet das für unsere Ermittlungen?«
»Wir führen sie weiter wie bisher. Sollten wir tatsächlich auf Zusammenhänge mit der Erpressung stoßen, müssen wir die entsprechenden Konsequenzen ziehen. Koch will allerdings über jeden unserer Schritte minutiös unterrichtet werden. Aber ich glaube, du hast Erfahrung genug, zu wissen, wie wir mit ihm umgehen müssen.«
Braig seufzte laut, wusste, was Neundorfs Information bedeutete. Mit dem Oberstaatsanwalt zusammenzuarbeiten, erschwerte die Ermittlungen erheblich. Jedes Vorgehen genau abzuwägen, jeden Schritt exakt vorauszuplanen, alle Tätigkeiten abzusprechen, obwohl meist flexibles Arbeiten und schnelles Reagieren auf neue, unvorhergesehene Entwicklungen notwendig war, beeinträchtigte in eklatanter Weise die Effizienz ihrer Arbeit. Hinzu kamen Kochs sattsam bekannte Vorurteile, sein politisch bedingtes, einseitig geprägtes Weltbild, in dem Gute und Böse von vornherein wenn nicht festgelegt, so doch verdächtig waren – Braig hatte genug mit Charakteren wie dem Oberstaatsanwalt zu tun gehabt, um zu wissen, welche zusätzliche Belastung damit auf sie
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