Schwaben-Wahn
Sie tatsächlich zu interessieren.«
Braig wartete, bis sich sein Puls beruhigt hatte, betrachtete die propere junge Frau, die ihre Tür weit geöffnet hatte. Leuchtend blaue Augen blickten aus ihrem von kräftigen roten Wangen geprägten Gesicht. Die weiten Schlabberhosen und das großzügig geschnittene T-Shirt konnten nicht verbergen, wie gut genährt sie war.
Braig wischte sich den Schweiß von der Stirn, richtete sich vorsichtig gerade auf. Die Decke war nur noch wenige Hand breit von seinen Haaren entfernt. »Was haben Sie gedacht?«, fragte er. »Dass ich erst auftauche, wenn Ihr Dienst bereits begonnen hat?«
Petra Nied lachte laut. »Genauso habe ich es mir vorgestellt«, erklärte sie, »ich sitze in meinem Zug und Sie stehen hier vor der Tür.«
Er betrachtete sie prüfend. »Schlechte Erfahrungen mit der Polizei?«
Sie schüttelte den Kopf. »Keine Angst«, erwiderte sie grinsend, »ich stehe nicht in Ihrer Kartei.« Sie trat einen Schritt zurück, winkte ab, als er ihr seinen Ausweis entgegenstreckte, ließ ihn eintreten.
Ihre Wohnung bestand, soweit Braig das überblickte, aus einem einzigen großen Raum, der auf drei Seiten schiefe Wände hatte. Blumenarrangements in unübersehbarer Fülle säumten die beiden Fenster, die links und rechts in der Form schmaler Erker die Schräge durchbrachen. Braig schaute nach draußen, sah, dass der Himmel von dicken Gewitterwolken überzogen war.
»Hier, deswegen sind Sie doch gekommen.« Petra Nied zeigte auf den runden Tisch im hinteren Bereich des Zimmers, um den drei Stühle gruppiert waren.
Braig folgte ihr, erkannte die Kette sofort. Sie war, soweit er es beurteilen konnte, von genau derselben Form wie die, deren Teile sie bei den ermordeten Männern gefunden hatten. Er trat an den Tisch, nahm den Schmuck in die Hand, wunderte sich wieder, wie leicht er war.
»Und?«, fragte die junge Frau, »Erkennen Sie sie wieder?«
Er nickte, betrachtete die einzelnen Teile, war verblüfft über die Ähnlichkeit der Ausführung. »Ja«, bestätigte er, »Sie haben Recht.«
Ihre Augen leuchteten wie die eines kleinen Kindes, das von seinen Eltern ein außergewöhnliches Lob empfangen hat. »Ich habe den Schmuck in der Zeitung sofort erkannt.« Sie setzte sich auf einen der Stühle, schob ihm einen anderen zu.
Braig bedankte sich, zog eine kleine Plastiktüte vor. »Darf ich ihn mitnehmen? Unsere Techniker würden ihn gerne überprüfen.«
»Wenn Sie ihn wieder zurückbringen.« Ein verschmitztes Lächeln überzog ihr Gesicht.
»Keine Angst. Ich unterschreibe Ihnen eine Überlassungs-Erklärung.« Er riss ein Blatt aus seinem Notizblock, bestätigte mit kurzen Worten, dass er die Kette im Auftrag des LKA an sich genommen habe, unterschrieb mit deutlich lesbarer Schrift.
»Heißt das, ich habe dazu beigetragen, einen Mörder festzunehmen?« Sie nahm das Papier an sich, schob es nervös auf dem Tisch hin und her.
»Wenn wir viel Glück haben, vielleicht. Ich fürchte aber, dass es noch eine Weile dauert, bis wir soweit sind.« Er packte den Schmuck in die Plastiktüte, legte sie neben seinen Notizblock. »Sie haben die Kette in Krakau gekauft. Erinnern Sie sich noch, wo das war?«
»Natürlich weiß ich das«, erklärte sie, »meinen letzten großen Urlaub habe ich noch nicht vergessen.« Sie strich sich die Haare aus der Stirn, schob die Zeitung auf dem Tisch zur Seite. »Wir kauften sie bei einer der ukrainischen Frauen am Rand des Marktplatzes. Sie kennen Krakau?«
Braig schüttelte den Kopf.
»Eine wunderschöne Stadt mit irrem Flair. Liebevoll restaurierte Fassaden, viele junge Leute und eine Atmosphäre wie im 19. Jahrhundert. Teilweise aber auch schon auf Touristen eingestellt, überhöhte Preise, Nepp und so. Roger wollte mir zum Abschluss unseres Urlaubs etwas schenken. Am Rand des Marktplatzes standen Frauen mit Stickereien, Schmuck und Bildern. Sie verlangten viel weniger als die anderen Händler. Da sah ich diese Kette. Wir zahlten keine fünf Euro dafür.«
»Wann war das?«
»Letztes Jahr im August.«
»Die Frau kam aus der Ukraine?«
Petra Nied nickte. »Wir verstanden ein paar Brocken Polnisch, unterhielten uns mit ihr. Der Schmuck stammt aus ihrem Heimatdorf, gleich hinter der Grenze. Die Leute sind bettelarm, kaum einer hat Arbeit. Die Frauen verstehen sich auf Kunstfertigkeiten; im Winter stellen sie die her, im Sommer versuchen sie die zu verkaufen. Das ist ihre einzige Chance, zu Geld zu kommen.«
»Sie haben keinen Kontakt zu
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