Schwaben-Wahn
Altstadt.«
»Kann ich mir die Kette bei Ihnen ansehen und sie vielleicht auch ausleihen?«, fragte er.
»Wenn es Ihnen hilft, jederzeit. Sie finden den Weg?«
Braig benötigte keine Erklärung, kannte die Altstadt Schorndorfs. Vor wenigen Jahren, bei der Aufklärung des Todes eines Rundfunkjournalisten, hatte er schon einmal dort zu tun gehabt. »Kein Problem. Sie sind jetzt zu Hause?«
»Um sechzehn Uhr beginnt mein Dienst. Ich arbeite bei der Deutschen Bahn. Wenn Sie bis halb vier hier sein könnten?«
Braig schaute auf seine Uhr, sah, dass es kurz vor zwölf war. »In ein bis zwei Stunden. Okay?« Er ließ sich die genaue Anschrift geben, bedankte sich für die Hilfe, läutete bei Helmut Rössle an. An den Hintergrundgeräuschen merkte er, dass er den Techniker über dessen Handy erreichte. »Ihr seid noch in Monrepos?«, fragte er.
»Alle achtzig Deifel von Sindelfinge, mir schaffet in der Tat noch an dem Karre. Isch scho wieder was im Busch?«
»Die Kette«, sagte Braig, »ich habe ein ähnliches Exemplar.« Er berichtete von dem Anruf, erhielt von Rössle die Zusage, sich am Nachmittag um einen Vergleich der beiden Exemplare zu kümmern. »Sobald ich von Schorndorf zurück bin, schicke ich sie rüber.« Er beendete das Gespräch, atmete tief durch. War das endlich ein Schritt in die richtige Richtung? Diese Art von Ketten gibt es nur in Südpolen, hatte Petra Nied erklärt – waren sie auf eine erste Spur zur Identifizierung der Täter gestoßen? Braig spürte seinen hungrigen Magen, überlegte, ob er sich ein kurzes Mittagessen gönnen konnte. Das Telefon läutete. Unentschlossen nahm er ab, hatte Ann-Katrins Stimme am Ohr.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
Er versuchte, so gelassen wie möglich zu klingen, wandte seine Aufmerksamkeit seiner Freundin zu. »Besser«, sagte er, »ich denke, ich bin bald wieder voll auf dem Damm.«
»Wirklich?«
Er spürte instinktiv, dass sie ihm nicht glaubte, versuchte zaghaft, sie vom Gegenteil zu überzeugen. »Du brauchst dir keine Gedanken zu machen.«
»Ihr habt viel zu tun, ja? Im Radio haben sie nur noch ein Thema: den zweiten Mord der Erpresser.«
»Wir wissen noch nicht genau, ob er wirklich auf sie zurückgeht. Fakt ist nur, dass es sich um denselben Täter handelt.«
»Ihr habt noch keine Hinweise?«
»Gerade eben. Ein Anruf aus Schorndorf. Ich fahre gleich hin.«
»Hoffentlich bringt es euch weiter.«
»Wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen. Wenn wir nicht bald vorwärtskommen, stoßen wir auf das nächste Opfer.«
»Glaubst du?«
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Wir haben noch keinen Durchblick. Wie geht es dir?«
Ann-Katrin Räuber ließ einen lauten Seufzer hören. »Ich fürchte, ich muss wieder Überstunden machen. Heute Abend in Backnang. Sie wollen wieder demonstrieren.«
»Für ihr Krankenhaus?«
»Für seinen Erhalt, ja. Nächsten Freitag ist eine Abstimmung im Kreistag, pro oder contra. Deshalb wollen sie heute Abend wieder auf die Straße gehen. Angeblich ist wieder mit mehreren Tausend Leuten zu rechnen. Es kann spät werden.«
»Die können doch nicht das Krankenhaus schließen, wenn sich so viele für seinen Erhalt engagieren.«
»Ich kann es mir auch nicht vorstellen. Aber du weißt selbst, wie weit die Einflüsse bestimmter Lobbyisten reichen. Wenn etwas Neues gebaut wird und sei es auch noch so unnötig, gibt es viel zu verdienen. Und was kümmert dann noch der Wille der Bevölkerung?«
Braig wusste aus eigener Erfahrung, wie Recht sie hatte, bat sie, auf sich aufzupassen, und versprach, bald wieder von sich hören zu lassen. Er verabschiedete sich, beschloss, sofort nach Schorndorf zu fahren. Hunger hin oder her, die Frau mit der Kette hatte seine Neugier geweckt. Zumindest, was die Herkunft des Schmucks anbetraf.
17. Kapitel
Die Fachwerkhäuser rund um den weitläufigen Marktplatz von Schorndorf gelten genau wie die sie umgebenden schmalen Gassen als eine der reizvollsten städtebaulichen Szenerien ganz Württembergs. Braig genoss den kurzen Fußweg vom Bahnhof durch die stimmungsvolle autofreie Zone, hatte die angegebene Hausnummer schnell erreicht. Er war in Cannstatt bei einem Bäcker eingekehrt, hatte mit zwei Brezeln den schlimmsten Hunger gestillt.
Petra Nied reagierte sofort, als er auf die Klingel drückte. Sie wohnte im obersten Stockwerk eines alten Mehrfamilienhauses, starrte überrascht auf den Besucher, der um Luft ringend die knarzenden Treppen hochkeuchte. »Sie sind schon da? Die Kette scheint
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