Schwaben-Wahn
schwarzen Lederkoffer ab, nickte allen zu. Er wirkte bullig, schien um die sechzig. Sein Gesicht glühte vor Anstrengung, er schnaufte schwer. »Ich konnte nicht früher«, entschuldigte er sich. Seine Stimme klang rauchig und verschnupft wie immer, wenn Braig mit ihm gesprochen hatte. »Verkehrsunfall in Vaihingen. Die Verrückten sterben nicht aus. Jagt so ein Kerl mit seinem Sportwagen die Robert-Koch-Straße entlang, verliert die Gewalt über den Karren und rast voll auf den Gehweg. Zwei schwerverletzte Kinder, die dort auf dem Weg zur Schule waren.« Er schüttelte sich, als wolle er die Bilder verscheuchen. »Der Junge starb mir unter den Händen weg. Elf Jahre jung. Wegen so einem verkommenen Schwein.« Er schob seine Krawatte zur Seite, zog ein Stofftuch aus seiner Hosentasche. »Aber das ist unser Alltag. Ich weiß, Ihnen geht es auch nicht besser. Was steht an?« Dr. Keil wischte sich mit dem Tuch übers Gesicht, tupfte sich den Schweiß von der Haut.
»Männliche Leiche«, sagte Neundorf, »aus dem Auto dort.« Sie deutete auf den Toten, den sie hinter einer schmalen Zeltplane, die ihn vor neugierigen Blicken schützen sollte, am Ufer abgelegt hatten.
»Wie kommt die Kiste in den See?«, fragte der Arzt. »Sind jetzt alle dem Wahnsinn verfallen?«
»So langsam könnte man es glauben«, antwortete Neundorf, »wir haben noch keine Ahnung.«
Dr. Keil machte sich an seinem Koffer zu schaffen, bückte sich dann zu dem Toten nieder. »Sie haben seine Papiere?«, fragte er.
»Karl Herzog, 1958 in Waiblingen geboren«, erklärte Neundorf. »Gemeldet in Sindelfingen. Wir haben ihn mit dem Bild auf seiner Kennkarte verglichen. Er scheint es zu sein. Mehr wissen wir noch nicht. Wir warten auf Ihren ersten Befund.«
Rauleder hatte die Geldbörse und den Ausweis des Mannes sofort nach dessen Bergung aus seiner nassen Jacke gekramt, sie an die Kommissare weitergereicht.
»Das wird eine Weile dauern«, sagte der Arzt. Er schnaufte immer noch heftig, fing plötzlich an, laut zu schimpfen. »Warum sagen Sie das nicht gleich!« Er sah mit vorwurfsvollem Blick zu ihnen hoch. »Das haben Sie doch selbst bemerkt!«
»Wir waren genauso überrascht«, erklärte die Kommissarin, »damit hatte niemand von uns gerechnet.«
»Also, dann brauchen Sie auf meine Expertise nicht mehr zu warten. Ein Schuss mit Todesfolge unterhalb der rechten Schläfe.« Er starrte zu ihnen hoch, deutete auf den See. »Wozu dann diese Veranstaltung?«
Neundorf zuckte mit den Schultern. »Wir wissen nicht mehr als Sie.«
»Ja, natürlich.« Dr. Keil wandte sich wieder dem Toten zu. »Und jetzt wollen Sie wissen, wie viele Stunden das her ist.« Er wartete ihre Antwort nicht ab, ergänzte seine Feststellung. »Das dauert. Ich muss erst überprüfen, inwieweit das Wasser Einfluss auf die Leichenstarre hatte.«
Neundorf trat zur Seite, wandte sich an Braig. »Kümmern wir uns zuerst um den Mann, der das Auto entdeckte?«
»Sobald wir einen ersten Befund über die Todeszeit haben?«
»Vielleicht können wir uns den auch telefonisch geben lassen. Dann steht Dr. Keil nicht so unter Druck.«
Braig nickte, zog sein Handy aus der Tasche. »Du hast den Namen und die Nummer?«
Neundorf reichte ihm das Papier, hörte, wie ihr Kollege mit einem Herrn Dolde sprach und sich den Weg zu dem Universitätsgebäude beschreiben ließ, in dem der Student arbeitete. Braig kündigte ihren Besuch für die nächste halbe Stunde an. Sie sah seinen fragenden Blick, mit dem er sich nach ihrem Einverständnis erkundigte, signalisierte ihre Zustimmung.
»Das wird nicht lange dauern. Die Uni liegt gleich um die Ecke. Anschließend fahren wir nach Sindelfingen und verständigen die Angehörigen des Toten, ja?«, setzte er hinzu. Braig ließ sich die Handy-Nummer des Arztes geben, verabschiedete sich von ihm und den Kollegen.
Sie verließen das Seeufer, kämpften sich durch die Menschenmenge, die mit angestrengten Mienen auf neue Informationen wartete. Braig kam es vor, als habe sich ihre Anzahl seit seiner Ankunft vor einer guten halben Stunde mehr als verdoppelt.
»Ond, was isch mit dem Dote?«
»Isch er in dem Auto ersoffe?«
»Wer hat den do neigfahre?«
Er winkte den beiden uniformierten Beamten zu, die mit stoischer Ruhe jedes Vordringen in eine der abgesperrten Zonen unterbanden, schob einen älteren Mann mit vor unverhohlener Neugier rot angelaufenen Wangen zur Seite, der ihn am Weitergehen hinderte.
»Des waret die terroristische Erpresser«, zischte der
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