Schwaerzer als der Tod Thriller
Stuhl neben ihm nieder, als hätte sie Angst, dass er ausschlagen könnte wie ein bockendes Pony.
»Ich weiß, dass heute etwas wirklich Schlimmes passiert ist. Ich weiß aber nicht genau, warum.« Ihre Stimme klang sanft, leise, die Stimme, mit der sie eine Gutenachtgeschichte erzählen oder einer Freundin ein Geheimnis anvertrauen würde. »Ich will gar nicht so tun, als würde ich verstehen, was du durchmachst. Ich habe keine Ahnung. Ich habe das Gefühl, du hast Dinge gesehen und erlebt, die ich mir nicht einmal vorstellen kann.«
Jetzt hob er den Kopf und sah sie an. Auf seiner linken
Wange hatte sich ein Bluterguss gebildet und färbte die Haut unter seinem Auge schwarz. An seiner geschwollenen Unterlippe klebte verkrustetes Blut.
»Wann darf ich nach Hause?«
Eine verblüffende Frage. Und er meinte es ernst. Es war nicht sarkastisch gemeint. Vor einer Stunde hatte er mit einem Messer auf einen Spielkameraden eingestochen und ihn so schwer verwundet, dass der Junge vielleicht sterben würde, und Dennis wollte einfach nach Hause.
»Dennis, du darfst nicht nach Hause«, sagte sie. »Du hast jemanden schlimm verletzt.«
»War doch bloß Cody«, sagte er, als hätte Cody Roache nicht mehr Bedeutung für ihn als ein Spielzeug, das er kaputt gemacht hatte.
Anne wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste nicht, ob diese Reaktion ein Ausdruck von Dennis Farmans Persönlichkeit oder eine Folgeerscheinung des an diesem Tag erlittenen Traumas war. Konnte ihm der einzige Junge, der jemals so etwas wie ein Freund für ihn gewesen war, wirklich so gleichgültig sein?
»Es tut mir so leid, Dennis«, sagte sie. »Ich wollte, ich hätte dir früher helfen können. Ich wollte, ich hätte eine Idee, wie ich dir jetzt helfen kann, aber ich habe keine. Ich kann nichts weiter tun, als hier bei dir sitzen, bis jemand, der sich besser auskennt als ich, kommt und es versuchen kann.«
»Was passiert jetzt mit mir?«, fragte er.
So schlimm seine Tat auch war, Anne zerriss es dennoch das Herz vor Mitleid mit Dennis Farman. Sie wusste nicht, ob es eine Täuschung war, die von dem grellen Licht oder den Abmessungen des Raums herrührte, aber er wirkte hier kleiner auf sie als im Klassenzimmer. Und während sie neben ihm saß und ihn betrachtete, hatte sie das merkwürdige,
beklemmende Gefühl, dass er direkt vor ihren Augen immer noch kleiner wurde, dass das Licht in ihm immer schwächer wurde und über kurz oder lang ganz verlöschen würde.
»Der Sheriff versucht deine Mom zu finden, damit sie herkommen und bei dir bleiben kann«, sagte sie. »Weißt du vielleicht, wo sie sein könnte?«
Zum ersten Mal, seit sie den Raum betreten hatte, sah er sie an.
»Sie ist tot«, sagte er ohne jede Regung. Dann blickte er an ihr vorbei zu der Glasscheibe in der Tür.
Als Anne sich umdrehte, sah sie hinter der Scheibe Frank Farmans Gesicht.
»Er hat sie umgebracht.«
68
»Ich dachte, zur Intensivstation haben nur das Krankenhauspersonal und Familienangehörige Zutritt«, sagte Mendez.
Morgan drehte sich um und sah ihn an. »Detective. Jane brauchte eine Pause. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, ich habe sie dazu überredet, eine Pause zu machen. Sie ist in dem Warteraum am Ende des Gangs und ruht sich aus. Ich musste ihr versprechen, hier stehen zu bleiben und sie sofort zu holen, wenn irgendeine Veränderung bei ihr eintritt.«
»Ist Miss Vickers’ Mutter noch nicht eingetroffen?«, erkundigte sich Hicks.
»Nein.« Er wandte sich wieder der jungen Frau im Bett zu. »Es erschien mir nicht richtig, sie einfach allein zu lassen. Das ist unlogisch, oder? Ich meine, sie weiß ja nicht einmal, dass wir hier stehen. Sie nimmt überhaupt nichts wahr, soweit wir wissen.«
»Vielleicht spielt sich aber auch alles immer wieder in ihrem
Kopf ab«, sagte Mendez. »Was ihr widerfahren ist, wer ihr das angetan hat. Und falls sie es schafft, sich durch den Nebel nach oben zu kämpfen, dann kann sie uns alles erzählen.«
»Besteht wirklich die Chance, dass sie sich an irgendetwas erinnert?«, fragte Morgan. »Der Arzt meinte, es wäre schon ein Wunder, wenn sie überhaupt durchkommt. Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht darauf verlassen, dass Sie etwas von ihr erfahren.«
»Wissen Sie, das ist das Interessante an meinem Beruf, Mr Morgan«, sagte Mendez. »Sogar Tote erzählen uns auf die eine oder andere Weise etwas. Es dauert nur länger.«
»Sie kriegen den Täter immer? Na, hoffen wir mal.«
»Wir werden Sie hier ablösen, Mr
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