Schwätzen und Schlachten
der Beilage der Neuen Zürcher Zeitung.
Nichts, wiederholte ich, ich meine nichts dazu. Ich meine dazu nichts, weil ich so was nicht lese, ich habe zu Kunst, zu sogenannter Kunst keine Meinung und habe nicht vor, dies durch Lesen irgendwie zu verändern.
War ich etwas gereizt? Es könnte gut sein, dass ich etwas gereizt war.
Ich dachte, Axel deutete mit der Zeitschrift auf mich, diesmal würde es dich interessieren. Sozusagen: aus persönlichen Gründen. Der Wirt servierte unter wüstem Geschüttel die Würste. Trunksucht und Tremor, eine schwierige Mischung.
Wo ist denn dem Wirt seine kellnernde Frau, fragte ich. Ich holte die Wurst vom Ende des Tisches und legte sie auf den Teller zurück.
Von einem Berg gefallen. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, der Analytiker hatte die Zeitschrift in seinem Sakko verstaut, begann seine Wurst zu zerlegen und regte mich schlagartig auf. Ich kann ihn aber auch nicht richtig verstanden haben, räumte er ein, er ist heute etwas gereizt.
Da waren wir schon zwei. Analytiker-Axel regte mich heute ungeheuer auf, ich dachte darum konsequent und nachhaltig an was ganz anderes, ich dachte zum Beispiel an Konsequenz und Nachhaltigkeit, zwei Tugenden, die ich bei den meisten Leuten vermisse.
Ich dachte an die meisten Leute, viele davon mochte ich nicht.
Den Analytiker hatte ich immer gemocht, heute mochte ich auch den Analytiker nicht, vielleicht lag es an Freud, vielleicht an der Analyse schlechthin, vielleicht an Jung, der Analytiker machte ja in Jung. Vielleicht lag es aber auch nur an seinem unverschämt guten Aussehen, an seinem verdammten Erfolg, an seiner selbstsicheren Weltgewandtheit.
Ich dachte kurzum an alles Mögliche.
Ein schrecklicher Gedanke, sagte der Analytiker irgendwann, nicht wahr?
Was, sagte ich, ich musste was verpasst haben.
Der Wirt stellte frischen Wein auf den Tisch und nahm die leere Karaffe mit. Ich musste gerade das Interessanteste verpasst haben und begann somit schnell und viel zu trinken, schaute mich um. Der Wirt beobachtete mit böser Miene seine Gäste, als säße er in einer völlig verhunzten Theateraufführung.
Und genau so, merkte ich auf einmal, genau so fühlte ich mich auch. Eine Theateraufführung, eine durch und durch verhunzte Theateraufführung. Ich hob die Hand, zeigte ihm die Fünf, er brachte einen halben Liter Wein, ich trank ihn aus, ich bestellte Wein, trank ihn aus und so weiter, das Prinzip ist klar. Ich wisperte ein bisschen.
Was meinst du? Der Analytiker beugte sich lauschend zu mir, hast du was gesagt? Ich betrachtete seine großen, eleganten Ohren, schüttelte den Kopf, eine durch und durch verhunzte Theateraufführung erklärte ich ihm, ich habs satt.
Der Analytiker hatte sich meinen Arm um die Schulter gelegt, wankte mit mir zum Wandelgarten unterhalb des Germanistischen Seminars. Ich hörte das hysterische Gebimmel der Straßenbahnen drüben beim Kunsthaus, dachte an Giacomettis lange Elende in der Sammlung. Diese dürren Beine, zermergelte Wangen, Giacometti musste, gleich mir, ein trauriger, ein tieftrauriger Genosse gewesen sein, Männer wie ausgeleierte Regenwürmer und Frauen.
Ach, Frauen.
Wir wanden uns die Wege des Wandelgartens hoch, es ging zum Sterben langsam. Ich musste jammern, beschimpfte den Analytiker, den gepanschten Fendant, den Wirten und seine zerborstene Frau, die abwesende Katharina, die beklagenswert abwesenden Frauen überhaupt, Frauen, jammerte ich, Frauen. Laufen gefiel mir nicht mehr, der Analytiker warf meinen gleichgültigen Leib über seine Schultern wie ein Bündel erdrosselter Gänse, es war mir alles egal.
Irgendwann lehnte er mich gegen ein Spalier. Dicke, cremige Teerosen, wie sie Prinz Charles in Highgrove kultiviert, ich pflückte mir eine und bettete meine Nase in die pfirsichsanften Blüten und raunte was Wichtiges hinein.
Mit Prinz Charles hätte ich gerne getauscht, in dem Moment, aber vielleicht auch überhaupt. Was, fragte ich mich, wäre wohl am Leben Prinz Charles’ auszusetzen, wo war das Problem? Gab es ein Problem? Nein. Für Prinz Charles gab es, soweit ich sehen konnte, kein Problem, nichts in Sicht. Camilla schien mir ein guter Kumpel zu sein. Sie sieht aus wie ein Hund – so what? Charles liebt Hunde! He really does! Camilla. Camillacamilla.
War ich betrunken?
Der Analytiker zündete sich einen von seinen albernen Zigarillos an, setzte sich auf die Lehne einer Parkbank und schaute hinunter auf die Lichter, wissen tu ich gar nichts, sagte er.
Hatte ich ihn
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