Schwätzen und Schlachten
nur einmal getan hatte. Er hatte nicht gesagt: bleib, aber er hätte es sagen müssen, er hatte nicht gesagt, komm, und er war nicht selbst gekommen. Das war allerhand, was er unterlassen hatte, und wenig, was er getan hatte, genau genommen nichts. Sie hatte, er verstand das blitzschnell und plötzlich, sie hatte ein Recht darauf, gewünscht zu werden. Und ihm fiel das Wünschen doch so schwer, das Wollen, das war für ihn einfach tierisch schwer. Warum? Ach, viel zu öde, das hier ausführlich zu erörtern, mit so was kann man seinen Analytiker langweilen. Stanjic fand, er habe schon über Gebühr seinen schwierigen familiären Hintergrund bemüht, sicher, dort lag der Hund begraben, dort musste er suchen und finden und sich erlösen, aber: nicht hier und jetzt. Ein toter Hund interessiert einen nur insoweit, als es der eigene war, sonst ist er einem schnurzepiepe. Schnurzepiepe, dachte Stanjic störrisch, er wusste, Sydow würde behaupten: Das sagt man heutzutage nicht mehr, und darum dachte er es aus purem Trotz noch einmal: schnurzepiepe.
War es also seine gerechte Strafe, sich in der Uetliberg-Episode nur als Komparse eines Films wiederzufinden, in dem er nie hatte mitspielen wollen? Geschah es ihm nicht recht, dass er nun noch viel weniger wusste, ob es Katharina ernst gewesen war und wie ernst es ihm selbst war? Musste er annehmen, sie und Simon hatten ihn nur – benutzt? War er einfach ein Film von vielen, immer in Endlosschleife und immer unbeschriftet. War er eine Episode. Gut für einen Film. War das alles.
Und es war, als merkte er erst jetzt, dass er nicht wollte, dass das alles wäre. Und er merkte, dass er wütend war. Er war wütend auf Simon und wütend auf Katharina und er wollte nicht eine Episode für sie sein, er wollte nicht die Uetliberg-Episode sein.
Immerhin, ex negativo schaffte er schon. Ihm war – dank seiner vielgestalten Psycholektüre – völlig klar, dass er damit entwicklungstechnisch noch irgendwo im Frühkindlichen planschte. Das alles würde er natürlich nicht für viel Geld Sydow anvertrauen, Sydow fände das alles zum Schreien komisch. Sydow war zutiefst psychophob, wie er frankophob war, das eine vermutlich – wie alle Psychophobiker – aufgrund seiner eigenen, klaftertiefen seelischen Baustelle, das andere wegen dem Geschirr seiner Oma.
75. Ortsansässige Kunstschaffende
Dann also rechterhand Kirche samt Pfarrhaus, Stanjic stellte plötzlich fest, dass Sydow schon wieder mitten im nächsten Film war, er hatte das Tonband seines Telefons wieder eingeschaltet, es sprach die Männerstimme von vorhin.
Der kann auch weg, sagte Olaf.
Nein, rief ich, der ist wichtig, wegen dem Plakat!
Welches Plakat.
Mit dem Oha , du weißt schon.
Wegen diesem Schmuh?
Ja eben! Es ist wichtig, weil es so ein Schmuh ist, am Schluss geht es doch um diese ortsansässigen Kunstschaffenden, die –
Von mir aus, Olaf winkte ab, aber verschon mich mit ortsansässigen Kunstschaffenden.
Stanjic klinkte sich mit einiger Mühe ein, samt angeblichem Pfarrhaus, berichtigte sich die Stimme gerade, auch die Kirche ist, nur der Ordnung halber, nicht mehr als Kirche in Betrieb, die Gemeinden sterben aus, nicht im eigentlichen Sinn natürlich, die metaphysische Gemeinden sterben aus, die sogenannten Kirchengemeinden sind es, die aussterben, auch in Zürich, auch in der Bergstraße.
In der ehemaligen Kirche stellen nun ortsansässige Kunstschaffende ihre Produkte aus.
Wenig überzeugt hat mich beispielsweise eine Installation, welche Nachmittag im Wald geheißen war. Eine Rotkäppchenvariation aus Bronze. Das Mädchen trägt einen Korb mit Wein und Gugelhupf.
Dem als Rotkäppchen erkannten Mädchen ist eine riesige und damit meine ich eine mehr als doppelt so große Gestalt gegenübergestellt, unschwer als Wolf erkennbar. Es könnte theoretisch auch ein Hund sein, ein aufrecht auf seinen Hinterbeinen gehender Hund, jedoch würde ein Hund wenig Sinn machen. Es ist nichts darüber bekannt, dass das Rotkäppchen in der Episode um die kranke Großmutter auch mit einem Hund zu tun hätte, ja, es könnte sogar durchaus möglich sein, dass Rotkäppchen in ihrem gesamten Leben wohl einem Wolf, niemals aber einem Hund begegnet ist.
Ein Wolf, dessen wirklich herausragendes Merkmal ein großes, um nicht zu sagen obszön großes Gemächt, ein, wie ich leider sagen muss, hochgradig erigiertes Gemächt, ein wirklich bis zum Äußersten versteiftes Glied ist. Nachmittag im Wald. Nicht sehr gelungen, um
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