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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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gegen die Stoßstange gelehnt lauschte er Stanjics umständlichem Bericht.
    Ich tingeltangelte betrunken durch Simons Wohnung, fuhr Stanjic fort, schaute minutenlang aus dem Fenster hinüber zum dunklen Blumenladen, alle Pflanzen schliefen schon, träumten von der freien Natur oder ihrer Kindheit im Gewächshaus, Anarchie oder Regression, eins von beidem, Träume halt.
    Frau Heese, fragte ich mich, wo mochte wohl die Blumenheese sein? Tanzte sie Csardas für randalierende Aliens?
    An Freitagabenden schließt sie immer schon frech früh den Laden, sie nennt das diplomatisch: beizeiten, schließt beizeiten ihren Laden – zahlreicher, zum abendlichen Blumenkauf wild entschlossener Kunden zum Verdruss frech früh – und eilt in geblümtem Plunder und auf gefährlich hohen Hufen zu geselligen Tanzvergnügen.
     
    Er hatte, als er bei Glaser wohnte, des Öfteren, einfach um sie zu ärgern, am Freitag vor ihrem verschlossenen Laden gestanden und sich dann am Samstag darüber entrüstet.
    Was tanzt sie denn, fragte Sydow.
    Csardas, Cha-Cha-Cha oder Cancan, irgendwas mit C auf jeden Fall. Cwalzer, Stanjic lachte laut, Sydow schaute ihn empört an.
    Ich weiß, gab Stanjic zu, ich hab auch schon bessere gehört. Bloß nicht von mir.
    Wo mochte die Blumenheese nur sein? In den Klauen fürchterlicher Mutanten, gefährlicher Geschöpfe von fernen Planeten? Tanzte sie, um sie milde zu stimmen? Ertanzte sie sich dieses universale Wohlwollen, heischte sie nach außerirdischem Beifall für dieses pittoreske Treiben der Erdenwürmer, tanzte sie Cancan in einem Bananenrock?
    Die Aliens, meinte Stanjic, denen blieb die Spucke weg. Saßen wie vom Donner gerührt im intergalaktischen Audimax, die unberührten Marsriegel in der Hand, fassungslos. Sie hatten keinen blassen Schimmer, was ihnen widerfuhr. Der Bananenrock, Frau Heeses fliegende Beine, der Schlafzimmerblick unter schweren lila Lidern, die klappernden Hufe, diese interessanten Klänge, dieser Erdenwurm. Was bloß mochte das bedeuten?
    Frau Heese, ach Frau Heese hatte rosige Wangen und ein Gemüt wie ein Hackstock, überragte ihn um Kopfeslänge und fällte einen ruck, zuck mit Schlafzimmerblick und sahnigen Hüften.
    Ich ging in Simons Küche. Akkurat quadratisch, die Wände schulterhoch mit kleinen Mosaiken zu aperiodischen Mustern gepflastert, frei nach dem Darb-i-Imam-Schrein von 1453 im Iran – haha! Von wegen. Hier ist das einfach kunterbuntes Chaos, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus den dunklen, den schwärzesten Siebzigern und definitiv keinem Gott zum Wohlgefallen, aber wenn man sichs mit dem großen Uhrmacher nicht verscherzen will, puzzelt man besser was aperiodisches, das kann er dann in der Unendlichkeit herumschieben, wie er lustig ist, freut sich wie ein Kind.
    Im Übrigen hatte ich einfach nur einen Flashback, Alkohol generiert mitunter die lustigsten Blüten, erstens nämlich war die quadratische Küche in Zürich gewesen und zweitens hatte ich das mit den aperiodischen Mustern ja nur von Simons Klopapier. Zwar , zitierte er für Sydow, hat es auf dem Klopapier auch noch geheißen, aber das habe ich nicht in mein Notizbuch geklebt, dieser Teil war mir rundherum unverständlich:
    Zwar erscheint jeder seiner Ausschnitte an anderer Stelle des Musters wieder, wenn man die Fläche groß genug macht, aber die Motive tauchen unregelmäßig auf. Das Muster als Ganzes lässt sich nicht so verschieben, dass es deckungsgleich auf einer ins Unendliche gedachten Kopie seiner selbst zu liegen kommt.
    Ich habe damals, sagte Stanjic, sehr, sehr sehr lange auf der Toilette verweilt. Ich habe es immer wieder gelesen und nicht verstanden. Ich versteh es auch jetzt nicht.
    Seither aber hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, bei allfälligen Zusammentreffen mit allem Gekachelten und Verzierten seinen aperiodischen Kennerblick aufzusetzen und zu sagen: ah, ein aperiodisches Muster. Andere Leute machten das gerne mit dem Tristanakkord. Sie lauschten im Konzerthaus der Musik und neigten sich dann ihrer schönen Gefährtin zu und hauchten ihr über den entblößten Nacken ins Ohr: ah, Tristanakkord, aber es stimmte nie. Vielleicht gab es keinen Tristanakkord, vielleicht nicht den Schrein im Iran, vielleicht waren diese Toilettenpapierrollen, die Glaser zu vergünstigten Preisen erwarb, nur darum so günstig, weil ihre spannenden Informationen schon längst überholt und widerlegt waren oder, schlimmer noch, von einem Hochstapler allesamt erfunden wurden, bis die Sache

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