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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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einzufangen?
    Vielleicht Töpfern? Eine Töpferscheibe?
    Töpfern?, sagte Sydow schwach.
    Im deutschen Osten, sagte Stanjic, ist ja zu meiner großen Verwunderung immer viel getöpfert worden.
    Es war das Töpfern im Osten sozusagen die höchste Form der Kreativität, wer weniger für den Staat als vielmehr kreativ war, zog aufs Land und töpferte, man traf dort auf andere, gleichgesinnte Töpfer und lebte in großen Töpfergemeinschaften, es gab auch heute noch auffallend viele Läden mit Töpferware, an Sonntagen konnte man von einem Töpfermarkt zum nächsten Töpfermarkt fahren und sich mit Töpferware eindecken, getöpfertes Geschirr und getöpferte Butterdosen, man konnte, dachte Stanjic, praktisch alles töpfernd herstellen, getöpferte Gugelhupfformen und getöpferte Blumenampeln, und – sie standen dann unbenutzt und bewundert in Vitrinen – getöpferte Teeschalen nach japanischem Vorbild, sie waren die höchste Form der Töpferkunst und wurden, fleißig töpfernd, in nie ablassendem Strome produziert. Die hiesigen Töpfer hatten es dank ihrer Kreativität im Töpfern zu einigem gebracht, es wäre, dachte Stanjic, es wäre wirklich im Interesse des Feng-Shui, diesem auffallenden Sachverhalt, diesem im Osten alle anderen kreativen Möglichkeiten überflügelnden Töpfern einmal nachzugehen, war es eine zufällige Bewegung, ein sich selbst verstärkender Trend?
    Vorstellbar wäre es zum Beispiel, sagte er zu Sydow, dass einmal ein Töpfer in seiner Werkstatt seine Töpferscheibe ganz zufällig in der Zone der Kreativität aufgestellt hatte, von der Eingangstür aus, er überlegte kurz, Bagua, murmelte er Baguabagua, wo bist du, Bagua, dann ist in dem Bagua, welches, vertraute er Frederik an, wie wir alle wissen in neun schöne Zonen unterteilt ist, dann ist die Kreativität links.
    Man kommt zur Tür herein und links bündelt sich Feng-Shuitechnisch die Kreativität und ganz zufällig hat ein bis anhin womöglich nur mittelmäßig begabter Töpfer seine Töpferscheibe hier aufgestellt.
    Er töpferte.
    Andere Töpfer kamen zu Besuch. Sie kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, Töpfer, riefen sie, hocherstaunt, wie kommts, dass du so gut töpfern kannst?
    Ich weiß es nicht, sagte der Töpfer, selbst völlig verdattert ob seiner gelungenen Töpferware, seit ich meine Töpferscheibe hierhergestellt habe, weil mir drüben die Berge von unverkauften Töpferwaren über den Kopf wuchsen, läuft alles wie geschmiert, ich habe fast das Gefühl, es töpfert wie von ganz allein.
    Und tatsächlich, die Leute rissen ihm die neuen Töpferstücke förmlich aus den Händen, und nicht nur das, nun plötzlich als Töpferkünstler erkannt, erfuhren auch seine bisher verschmähten Töpferversuche eine ungeahnte Aufwertung, als frühe Stücke eines Töpfermeisters fanden auch sie ihre Besitzer, diese Stapel von verstaubtem Getöpfertem schmolzen ruck, zuck in sich zusammen, sie hatten die gesamte Zone der Kontemplation verstellt gehabt und nun, verwundert über die leer gewordene und schöne Fläche, ging der Töpfer dort ab und zu auf und ab, dachte nach und wurde, wie alle großen japanischen Töpfer, ein großer Denker. Weitere, ganz hinten an der Wand aufgebauten, noch ältere Töpferberge verschwanden – die allerersten Gehversuche in der Kunst des Töpferns, löchrige Tassen, unförmige Gebilde, wahlweise als Elefant oder Schwein ausgezeichnet, ohne dass man das eine vom anderen hätte unterscheiden oder überhaupt nur als Tier erkennen können, sie alle wurden von enthemmten Fans aufgekauft, alle in dem seligen Wunsch, diese faszinierenden Gebilde, die den späten Künstler schon erahnen lassen, zu besitzen.
    Die verbaute Wand leerte sich zusehends, das Bagua schläft nicht, der kleine Töpfer stellt sich hin, hebt ein letztes, zurückgebliebenes Stück auf, vermutlich als Kunstwerk verkannt, da es in seiner Unförmigkeit eher einem vertrockneten Klumpen unvertöpfertem Ton gleicht, dabei war es einer der letzten Versuche gewesen, als parteitreuer Staatstöpfer doch noch die erhoffte Anerkennung des Regimes zu bekommen, es war ein Stück aus dem großen Arbeiterzyklus, genannt Erdscholle .
    Der kleine Töpfer hält es in der Hand, betrachtet es ehrfürchtig, die Sonne kämpft sich gerade zu ihrem Höhepunkt, frisst sich durch die Wolken und gleißend hell fällt das Licht herein, der Töpfer blickt auf und ist erleuchtet.
     
    Die Zone der Erleuchtung, sagte Stanjic zufrieden, nachdem der kleine Töpfer den ganzen

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