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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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so schattig, bei der Kühltheke war es wunderschön, er lehnte seinen Kopf an ein Kühlfach, hier war es wunderwunderschön, er fühlte sich glücklich und suchte nach der Milch, sie war aus.
    Nicht so schlimm, dachte er freundschaftlich, er fühlte sich schlagartig besser, glücklich und ungeheuer freundschaftlich, er fühlte sich wie ein guter Mensch. Nicht so schlimm, dachte er voller Freundschaft, kein Problem, dann kauf ich eben Sahne. Dann kaufte er eben Sahne! Er war glücklich.
    Sahne war auch aus. Aber das macht nichts, dachte er verständnisvoll, vielleicht ist, dachte er, wegen der ordinären Hitze, die gesamte Palette an Milchprodukten sauer geworden, umgekippt, es wäre kein Wunder. Er hätte, als Milch, schon längst kapituliert, er verstand das.
    Er ging in Richtung Kaffee. Diese leeren Einkaufsstraßen, kein Mensch kaufte ein, warum? Allmählich irritierte ihn das völlige Fehlen zermürbender Kaufhausmusik, die einen dazu brachte, völligen Unsinn einzukaufen, weil man vollauf damit beschäftigt war, die mysteriösen Texte zu entschlüsseln. Langsam wurde ihm unbehaglich.
    Er bog um die Ecke zu Kaffee und Tee, Kakao und getrockneten Früchten, er bog ein zu den Kolonialwaren, Kolonialwaren, sagte er erleichtert, da seid ihr ja, Kolonialwaren, Kolonialwaren klangen exotisch und dabei so beruhigend, jedoch, die Lage dort war schlecht.
    Halb leere Regale, ausgeräumte Schächte, sicher, es standen ein paar gemeine Kartons mit Beuteltee herum, gewiss, da und dort lagen wie vergewaltigt die ein oder anderen Pakete Kaffee, zerrissene Einwickelpapiere, leckende Vakuumverpackungen, aufgeschlitzte Säcke. Er schaute sich um, getrocknete Südfrüchte lagen geschändet über den Boden verteilt, Nüsse flohen über schmutzige Fliesen, jemand hatte zwischen den Kolonialwaren gewütet. Er ging zwischen den Gängen umher, es sah wüst aus, diese halb nackten Regale und verschütteter Grieß, Eierkartons mit zerbrochenen Eiern. Hier und da stand ein halb voller Einkaufswagen, die zurückgelassenen Einkäufe von getürmten Verrückten, kiloweise Haferflocken, Trockenbohnen und eingelegte Maiskölbchen. Was hatten die bloß kochen wollen? Was für ein Wahnsinnsmenü war da durch einen gestörten Kopf gegeistert, wieso diese ungeheuren Mengen?
    Wo waren die anderen Einkäufer, die kaufwütigen Kunden? Machten sie unisono Urlaub oder im Kollektiv Diät? War Krieg? Saßen alle schon zu Haus hinter verhängten Fenstern und verbarrikadierten Türen, saßen auf hamstergekauften Nudelpaketen und tranken ehrfürchtig die letzte frische Milch? Starrten auf flimmernde Bilder in ihrem Fernsehgerät, wo ein ernster Nachrichtensprecher mit einem Sturmhelm auf dem Kopf das Vorrücken der feindlichen Truppen erläuterte?
    Waren, er überlegte beklommen, waren nicht vorher schon die Straßen auffallend leer gewesen? Er hatte sich nichts dabei gedacht, morgens dachte er immer nicht so viel. Ohne Kaffee und Brot stand er auch noch ganz unter der Fuchtel dieses aufreibenden Traums, er hatte in dem Traum gezeltet, er zeltete nicht gern.
    Er hatte Essen kochen müssen auf einem Lagerfeuer, eine Art Erbswurstsuppe in einem Aluminiumtopf, aber das Feuer war nicht recht in Gang gekommen. Egal wo er sich hinsetzte, der Rauch kam immer in seine Richtung, er fand das nicht normal. Er hatte nicht gewusst, wo er seine Bundfaltenhosen aufhängen sollte, dabei hatte er extra einen Hosenbügel dabei.
    Er mochte diesen typischen, müffelnden Zeltgeruch nicht. Das Zelt war winzig klein, es war nicht nur kein Platz für das Aufhängen seiner Bundfaltenhose, es war auch sonst für nichts Platz, auch nicht für ihn.
    Der Schlafsack bedrückte ihn. Er hatte diese mahnende, sich nach unten hin verjüngende Form einer Mumie. Er musste dringend aufs Klo und wusste nicht, wo, hier war weit und breit keine Toilette, etwa ins Gebüsch? Hier war auch kein Gebüsch. Hier war überhaupt nichts, es war eine Wüstenei, eine Ödnis, ein Niemandsland, hier wuchs kein Baum und er suchte und fand kein Klopapier. Jetzt, im Nachhinein, wusste er, wo er gewesen war: Es war die Tundra, oder die Taiga. Aus dem Film. Aus dem Film mit dem Mann Namens Igor. Komme gleich wieder, hatte er geschrieben. Bloß nicht, sicher würde er just in dem Moment seine Nase über den Horizont strecken, wenn er sich mit einem Bein seiner Bundfaltenhose den Hintern abwischte.
    Er war, nach diesen unerfreulichen Ereignissen der Nacht, unendlich glücklich gewesen zu erwachen. Es war dieses

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