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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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einzelne blöde Gamasche.
    Er öffnete die Tür, im Korridor war es kalt. Ein Morgenrock mit Paisley, seidengefüttert. Er ging durch den Gang und klopfte an Glasers Tür, eine Schlafbrille, Pantoffeln, ein paar Schnäuztücher mit Monogramm, Simon? Er wartete kurz, und einen gestreiften Schlafanzug, einen Kulturbeutel mit Zahnpulver und einem Jurtenriemen, falls er sich entschließen sollte, den Bart abzunehmen, Simon?
    Er ging hinein, schaute sich um. Es herrschte eklatante Ordnung, Simon halt. Die Wände: mildes Blau, zartes Geäst, einzelne kräftige Zweige, ein paar Krampfadern, verödete Varizen. Auf dem Fensterbrett lag ein Buch, er ging hinüber und nahm es in die Hand, Stillleben, ein Bildband mit Stillleben, Schalen voller Pfirsiche, warzige Kürbisse und gebündelte Eichhörnchen, erschlagen oder erschossen oder erstochen, straußweise am Hals zusammengeknüpft. Er erinnerte ihn an einzelne Passagen aus dem Schlachten text, dieses Schwelgen in diesen morbiden Bildern, ihm war unbehaglich, er legte es wieder weg.
    Er suchte nach Glasers Reisetasche, auf dem Sessel, unterm Bett, neben der Tür, nicht da. Er öffnete den Kleiderschrank, sie lag – typisch Glaser eben – säuberlich zusammengefaltet auf dem Boden, die Kleider waren, eh klar, in den Regalen verstaut. Er schaute sie durch, sicher hatte Glaser einen guten Pullover, Glaser hatte so was.
    Er nahm einen Stapel aus dem Fach und setzte sich damit aufs Bett, Hemden Hemden, er blätterte durch die Hemden, wie viele Hemden hatte der denn dabei, noch eins auf jeden Fall, er legte sie weg. Ein moosig grüner Pullover, einer mit grauen Karos, er breitete sie nebeneinander aus, der dritte war braun und aus Baumwolle mit Kapuze, das interessierte ihn nicht, als er ihn weglegte, spürte er etwas Hartes, etwas Schmales, etwas Langes, er holte es aus dem Pullover.
    Stanjic betrachtete es in dem kreidigen Licht, schaute es an, als hätte wer von der Requisite was verbaselt und er müsse jetzt improvisieren. Er ging hinüber zum Fenster, ein Taschenmesser war das nicht, dafür war es zu groß. Vielleicht nannte man so was Fahrtenmesser, oder war das schon ein Schwert, es steckte in einer Lederscheide, er zog es heraus und steckte es schnell wieder hinein, Messer fand er zum Fürchten. Er wog es in der Hand, schaute auf die Warzen der Kürbisse, die matten Augen erlegter Eichhörnchen, die Spiegelung eines Fensters auf einem Bündel Trauben. Er blätterte hin und her, Feldhasen mit gestreckten Läufen und Blut im Fell, Tische voller Quitten und Zwetschgen, dann wieder Blauschimmelkäse und holländische Malerei auf Suppenterrinen, eine gefüllte und angeschnittene Pastete, man sah Fleisch und Pilze. Er kriegte Hunger.
    Er klappte das Buch zu, sinnierte über das Messer. Das war kein Messer zum Einem-blassen-aristokratischen-Kind-was-Schnitzen oder Einen-würzigen-Apfel-Vierteln. Es war kein Messer, um landadelige Initialen in einen Baum zu kerben. Es war ein Messer zum Fürchten. Man könnte damit ohne Probleme ein Eichhörnchen erlegen und einen Kürbis fällen, eine Fleischpastete schlachten, man könnte ein Kaninchen töten. Wollte Glaser anfangen zu schächten? War die grüne Cousine nur ein harmloser Anfang gewesen für viel Fundamentaleres, wollte er konvertieren? Und musste er wirklich hier heraußen damit beginnen?
    Stanjic sah ihn in einer blauen Gummischürze im Hof eine verschreckte Kuh verfolgen, er sah ihn mit dem Messer zwischen den Zähnen hinter einem perplexen Hasen über Felder hechten, er sah ihn an Eichhörnchen üben.
    Aber das war nur das eine. Das andere war: Er sah Simon wie in seinem Text eine Frau ausweiden. Er sah ihn, wie in dem Schlachten text, wie er einer Schwangeren das Kind aus dem Bauch schnitt. Er sah Katharina Fitzwilliam auf einem einsamen Bürgersteig verenden. Ihm war schlecht.
    Er steckte das Messer in den braunen Pulli und verräumte die Sachen wieder im Schrank. Er fand, man sollte der Requisite eine Chance geben, den Fehler zu beheben und das Objekt auszutauschen.
    Was packte man in einen Kapuzenpullover, was wickelte man zwischen die Klamotten? Was Zerbrechliches beispielsweise. Ein empfindliches Gerät. Bilderrahmen mit Bildern der Liebsten, die man sich dann auf den Nachttisch stellte. Simon Glaser? Lächerlich. So was kannte er, Stanjic, aus diesen depressiven Filmen, die er immer sah, in denen die Protagonisten unschuldig ins Gefängnis kommen und müde auf dem Bett sitzen, ihr eigenes Hochzeitsbild aus dem Pullover

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