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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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wickeln, damals waren sie noch glücklich. Beide küssen oder knubbeln ihre Nasen aneinander oder tanzen um eine Straßenlaterne. Oder aber, sie packen das Hochzeitsbild der Eltern aus dem Pullover, das war dann ein anderer Film. Ganz anderer Film. Ein Film über eine psychisch labile Persönlichkeit vielleicht. Gestörtes Elternhaus, nie erfolgte Ablösung, fiese Double-bind-Situationen. Die psychisch labile Persönlichkeit starrt täglich viele Stunden das Bild der scheinbar glücklichen Eltern an und weiß, glücklich war nie was. Die Eltern auf dem Bild lehnen die Köpfe vertraulich aneinander und vertraulich wurden sie aber ganz anders, huh! Stanjic schauderte, was für ein schrecklicher Film, sicher saß die psychisch labile Persönlichkeit nach erfolglosem Kampf gegen das lindgrüne Zimmer in einem lindgrünen Zimmer. In dieser nie gewollten Stille wird Erinnerung quälend und die Eltern in seinem Kopf lächelnde Grimassen, die –
    Nein. Stanjic stand auf, das war ein furchtbarer Film, deprimierend, so was schaute er sich nicht an. Man konnte noch ganz andere Sachen in einen Baumwollpulli wickeln, beispielsweise einen Seismografen. Bloß wozu? Woher sollte er das wissen. Kannte er etwa das Stück, kannte er Glasers Part? Eben. Die von der Requisite sollten es aber kennen, sie hatten sich verlesen, sie hätten weniger Simon Glaser ein Fahrtenmesser als vielmehr ihm, David Stanjic, ein Rasiermesser in einen Kulturbeutel packen sollen! Sie hätten ihm ein Rasiermesser mit Horngriff und einen Abzugriemen einpacken sollen, hatten sie nicht gemacht, sie hatten alles falsch gemacht, er bräuchte für das Stück dringend den Morgenrock, das Paisley, das Seidenfutter, wussten sie nicht, was hier gespielt wurde? Vermutlich. Sie hatten die falsche Liste, falsches Skript, wer weiß, was er noch alles Skurriles finden würde, wenn er das Zimmer durchpflügte, vielleicht eine genoppte Badehaube, eine Grubenleuchte mit Karbid, vielleicht war der Requisiteur zu alt für seinen Job, vielleicht musste er in Rente.
    Man kannte das ja von alten Leuten, Haustürschlüssel ins Gefrierfach, Kuchen zum Backen in den Küchenschrank, Koffer wieder auspacken, obwohl die Reise erst bevorsteht, Brille suchen und sie auf dem Kopf haben, solche Sachen. Privat kann man das ja machen, wenns niemanden kratzt, mein Gott, warum nicht, aber in so einem Job? Geht einfach nicht, man muss dem Requisiteur, der schon seit fünfzig Jahren praktisch im Theater wohnt, für das Theater lebt, Theater atmet, man muss ihm schonungsvoll beibringen, dass er den Stab weitergeben muss, den Büttel abgeben. Vielleicht findet man irgendeine weniger verantwortungsvolle Beschäftigung für ihn, was weiß ich, dachte Stanjic, in der Garderobe. Wobei: auch heikel, vertauschte Mäntel, heilloses Durcheinander, das verwöhnte Abonnementspublikum, das für solcherlei Späße absolut kein Verständnis hat. Womöglich provozierte so was gewalttätige Ausschreitungen, aufgeregte Ehemänner, die fremden Damen den Nerz von den Schultern reißen, dabei das zarte Gespinst der Abendrobe zerfetzen, barbusige Frauen waren die Folge, weitere Ehemänner, die sich einschalteten und schon fliegen die Fäuste, es wäre grässlich.
    Besser irgendwas im Hintergrund, da sollten sie sich mal von der Verwaltung den Kopf zerbrechen. Aus dieser Position sollte man ihn jedenfalls schleunigst entfernen. So was konnte noch fatale Folgen haben, man stelle sich vor, er finde so ein Messer zufällig in einem wilden Streit, warf aus Wut über Glaser seine ganzen Sachen aus dem Schrank. Beispielsweise, weil er gerne sein Zimmer gehabt hätte, Glaser es aber nicht hergeben wollte.
    Er, Stanjic, stürmte wütend in Glasers schönes blaues Zimmer, hier war es viel schöner, das schöne Blau, das schöne große Bad, der Blick auf den schönen Teich, es war eine Frechheit. Er zerrte Glasers Reisetasche aus dem Schrank und warf den Inhalt der Regale kurzerhand hinein, Glaser stand hilflos, fassungslos daneben, versuchte vergeblich ihn zu beruhigen, beruhige dich doch, würde er beruhigend sagen.
    Ich bin ruhig, würde Stanjic schreien, die Hosen, Strümpfe, die Unterwäsche herauszerren, in die Tasche stopfen.
    Schau, würde Simon Glaser freundlich sagen, wir können doch das nächste Mal –
    Ich will nicht das nächste Mal, würde Stanjic schreien –
    Sieh doch, würde Glaser besänftigend sagen, dein Zimmer ist viel praktischer als meines, denk an den praktischen Wandschrank, die direkte Verbindung

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