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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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Verstehst du? Ein Wahnsinniger sperrt seine Tochter 24 Jahre lang in seinen Keller, vergewaltigt und misshandelt sie, zeugt mit ihr sieben Kinder und redet dann davon, er habe sie schützen wollen, und so was steht dann in einer österreichischen Zeitung, Gwind ins Ohrwaschl . Verstehst du, warum dieses Land in der Krise ist?
    Ich verstehe.
    Nicht nur, dass es so Leute wie den Priklopil und den Fritzl dort wirklich gibt – Menschen, die man sonst nur in den wüstesten Träumen vermutet –, nein, wir haben auch diese völlig pervertierte Art der Berichterstattung, die setzt dem Wahnsinn die Krone auf. Marke Steyr . Man sieht ihn vor sich, wie er sich das gewissenhaft notiert. A Gwind ins Ohrwaschl. Aha, danke, das wird unsere Leser interessieren.
     
    Mein Lektor legte mir eine Liste vor, die mich offen gestanden sprachlos machte.
    Er hatte sich einzelne Begriffe notiert (beispielsweise: Österreich kommt schlecht weg, oder: Popo (plus Varianten), weiters: politische Inkorrektheiten (Witze über Ossis, Frauen, Rentner, Bucklige etc.) und dahinter irgendwelche Fantasiezahlen. Er hatte die verschiedenen Kategorien in ein Farbsystem aufgeschlüsselt, jetzt verstand ich endlich, warum sein Manuskript so bunt war.
    Weißt du, was das ist?, fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf, alleine die Zahl der Popos war derart gigantisch, dass ich befürchten musste, es handle sich dabei um das Wort mit dem textintern höchsten Vorkommen.
    Dir ist schon klar, sagte er, dass du mit diesem Machwerk ordentlich aufs Dach kriegen wirst?
    Aber wieso denn?! Ich schob ihm die Liste wieder über den Tisch, ich habe ja quasi nur mitgeschrieben, ich bin doch bloss eine niedere Charge, das sind ja nicht meine Meinungen, die ich hier zu Markte trage!
    Rede doch nicht so geschwollen, wies mich Olaf missbilligend zurecht. Was das in Österreich wieder für Rezensionen hervorbringen wird, will ich gar nicht wissen, in der Luft wird man dich zerreißen.
    Ich war erschüttert. In der Luft zerreißen. Das war schrecklich. Und das mir! Wo ich doch Heimweh habe nach Österreich alle Tage, wo ich selbst doch schamhaft erröte schon nur beim Wort Gesäß, wo ich doch jeden Witz verkehrt herum erzähle! Ich rang die Hände, was, rief ich klagend, soll ich bloß tun?
    Olaf seufzte, er schaute trübe auf seine farbige Liste. Zusehen, sagte er dann, dass du beim Runterfallen auf den Füßen landest.
    Ich denke, ich werde zerrissen! In der Luft zerrissen!
    Er nickte nachdenklich, du hast recht, sagte er. Dann hilft vermutlich nur noch beten und den Herrgott einen guten Mann sein lassen.
    Wir lächelten uns zu, das, sagte ich zu ihm, hätte ein Österreicher nicht schöner sagen können.
    Er verzog gequält das Gesicht und erhöhte die Zahl hinter Österreich kommt schlecht weg um eins.
     
    Könntest du bitte die Finger vom Essen lassen, Glaser entzog ihm eine Packung Reiscracker und verräumte sie in der Anrichte.
    Wann kochst du denn was.
    Habe ich dich zum Essen eingeladen?
    Nein, aber ich versuche diese für dich beschämende Unterlassung möglichst höflich zu umgehen, ich versuche, dir keinen Vorwurf zu machen und gelassen damit umzugehen.
    Wieso gehst du nicht ins Tante zum Essen.
    Ich will nicht alleine ins Tante gehen, Frederik arbeitet jetzt abends immer auf dem Weihnachtsmarkt, als Nikolaus –
     
    Sydow arbeitete genau genommen nicht als Nikolaus, der Nikolaus war hier lange nicht so populär wie in Stanjics ferner Heimat, wie auch das Christkind, der Nikolaus und das Christkind wurden hier ausgebootet von einem schmerbäuchigen Weihnachtsmann, der alle Jobs auf einmal erledigte. In dem Fall war es Sydow, er erledigte den Job. Zu diesem Zweck fuhr er spätnachmittags mit einem Rentierschlitten auf dem Weihnachtsmarkt ein, animierte das Publikum zum Mitsingen ( Morgen kommt der Weihnachtsmann) und verteilte kleine Geschenke. Warum er das machte, war Stanjic nicht ganz klar, am Geld konnte es kaum liegen, der Verdienst war kaum der Rede wer. David hatte die These, Frederik unternehme diese Anstrengung hauptsächlich in der Hoffnung, ein Marktbesucher sei zufällig auch ein Besucher des Tante und trüge es seiner Oma zu.
    Frau von Sydow, würde der Besucher sagen, wissen Sie, wen ich heute auf dem Weihnachtsmarkt gesehen habe? Ihren Enkel. Er macht sich dort als Weihnachtsmann zum Affen. Dass der das nötig hat! Bei, mit Verlaub, Frau von Sydow, bei der Familie!
    Stanjics These war dementsprechend, dass Sydow versuchte, den sozialen Druck auf seine

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