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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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Notenständer, können wir?
    Morgen war Weihnachten, Sydow kaute hartnäckig darauf herum, auch so eine Sache, der Satz hat es zu einiger Berühmtheit gebracht, bloß hat kein Mensch eine Ahnung, aus welchem Buch er stammt. Geschweige denn, dass jemand es gelesen hätte.
    Morgen war aber nicht Weihnachten, sagte Stanjic, was nun?
    Morgen war nicht Weihnachten, sagte Glaser, aber es nahte mit schnellen Schritten und sie hatten noch mächtig viel zu tun. Packen wirs, Jungs!
    Sie übten ein bisschen.
    Was ist eigentlich mit unserem Projekt, sagte Stanjic zwischen zwei Stücken, diese spontanen Ständchen, warum machen wir keine mehr, mir hat das gut gefallen.
    Das war übertrieben. In situ war es ihm jeweils hochnotpeinlich gewesen, aber er entwickelte eine gewisse Angstlust, für die er durchaus ein Faible hatte.
    Sie hatten zwischenzeitlich ein paar spontane Ständchen gegeben, sie waren alle in etwa so ausgefallen wie das erste, welches er, Stanjic, und Sydow vom Auto aus beobachtet hatten: Simon Glaser zog eine hässliche und unförmige Mütze über, er sah damit verboten aus, sie fragten: diese unförmige Mütze, muss das sein?
    Er sagte, ja.
    Sie zogen mitsamt ihren Instrumenten auf Fahrrädern durch die Stadt und gaben, so sie eines durch die Orthodoxie seiner Gewandung kenntlichen Juden angesichtig wurden, ein spontanes Ständchen.
    Zweimal suchte der so Ausgezeichnete jeweils entsetzt das Weite. Einer versprach ihnen, sie wegen Belästigung zu verklagen, und ein vierter schließlich fragte sie, ob ihnen eigentlich klar sei, dass man das durchaus als Provokation verstehen könne, was Stanjic und Sydow ihm sofort bestätigten und sich wortreich entschuldigten.
    Glaser wiederum machte Anstalten, ihn in ein weitschweifiges Gespräch zu verwickeln, es ging ihm um Schuld und die entsprechende Handhabe, er sprach von Wiedergutmachung und der Aufgabe, die jede neue Generation damit –
    Der Mann unterbrach ihn und sagte: Es gibt keine Wiedergutmachung. Nicht in diesen Dingen. Deutschland kann zahlen und es zahlt und es ist richtig, dass es zahlt, es ist nötig. Deutschland kann sagen: nie wieder, und es wäre gut, wenn es stimmte. Deutschland kann die Bilder zurückgeben und die Häuser und alles, was sie unrechtmäßig an sich nahmen, und es ist spät genug dafür. Aber es wird nichts wieder gut dadurch, es ist ein Irrtum. Es ist eine Schuld und ihr könnt sie nur tragen und damit leben. Und damit meine ich euch alle, eure Großeltern, eure Eltern und euch, weil es ist eine Schuld, die habt ihr jetzt in eurer Genealogie. Im Übrigen möchte ich diese Musik nicht hören, nicht in dieser Stadt und nicht von Deutschen.
    Simon Glaser nahm das, wie so vieles, in völliger Gemütsruhe zur Kenntnis. Stanjic fragte sich angelegentlich, ob es für Glaser in diesen Dingen eigentlich ein Gut oder Schlecht gab, ein Richtig und Falsch oder ob er alles nur unter Erfahrungen verbuchte. Er fand das insgeheim bewundernswert, litt selbst jedoch Höllenqualen. Aber wie gesagt, auch die Höllenqual hat so ihre Reize, er mochte die damit einhergehende Aufregung und auch das Gefühl von Scham, vermutlich, diagnostizierte er sich selbst, durchlaufe ich gerade dementsprechende mangelhaft ausgelebte Kinderjahre.
    Nein, machen wir nicht mehr, sagte Glaser.
    Warum nicht, fragte Stanjic.
    Ich denke, es ist genug.
    Genug wofür?
    Genug für meine Zwecke.
    Welches sind denn deine Zwecke? Sydow legte die Tschinellen weg, ich dachte, es geht um Wiedergutmachung!
    Es gibt keine Wiedergutmachung.
    Das hat der Mann gesagt! Du hast doch gefunden, dass –
    Das hat der Mann gesagt und er hat recht.
    Und seit wann findest du das?
    Immer schon.
    Und warum dann das Ganze?!
    Ich wollte sehen, was passiert.
    Stanjic und Sydow starrten ihn an, warum? Warum nur? Du benutzt uns, du benutzt die Leute, um zu sehen, was passiert?
    Glaser lehnte sich zurück und legte die Klarinette in den Schoss, wäre ich ein Wissenschaftler, würde ich eine These aufstellen. Ich würde eine Versuchsanordnung erfinden, ich würde Experimente machen, um zu sehen, was passiert. Es gibt dann ein Ergebnis, es kann sein, dass ich es erwartet habe. Es kann sein, dass es meine Erwartungen übertrifft, es kann sein, dass es ein ganz anderes Ergebnis ergibt, alles kann sein. Es wäre, als Wissenschaftler, nicht meine Aufgabe, zu bewerten, ob es gut ist oder schlecht, es ist einfach die Natur oder die Physik oder die Chemie und sie machen, dass Dinge passieren. Wie sie passieren und was

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