Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
nächsten Moment hatte sie seinen Blick aufgefangen und schlich hinter der Bühne entlang, um sich neben ihn zu stellen.
»Haben Sie ihn gefunden?«, fragte sie aufgeregt.
Fens Stimme war voller Sanftmut, als er zu ihr sprach. »Nein, es tut mir leid. Würden Sie mir einige Fragen beantworten?«
»J-ja, aber …«
»Ich würde Sie nicht damit belästigen, wenn es nicht wichtig wäre. Seit wann sind Sie und Ihr Mann in Oxford?«
»Oh … seit ungefähr drei Wochen. Aber bitte …«
»Und während dieser ganzen Zeit hat Ihr Mann sich nicht wohl gefühlt?«
»Nein … Es lag … es lag hauptsächlich an dieser schrecklichen Hautkrankheit. Und er will partout nicht zum Arzt gehen …«
»Können Sie mir seine Erkrankung in ihren Einzelheiten schildern?«
»Aber wieso? Wozu? Ich verstehe nicht …«
»Um ehrlich zu sein«, sagte Fen, »verstehe ich etwas von Medizin, und ich glaube, dass ich weiß, was ihm fehlt. Wenn Sie mir die Symptome nennen können, werde ich sie einem Arzt beschreiben, und dann können wir zumindest ein angemessenes Mittel finden.« Fen tat sich schwer beim Reden. Wenn es nicht gerade darum ging, einen Spaß zu machen, war ihm das Lügen zuwider, und die Grausamkeit dessen, was er gerade tat, war ihm schmerzlich bewusst. Aber scheinbar gab es keinen anderen Weg. »Vermutlich«, fügte er hinzu, »hätte Ihr Mann nichts dagegen, einfach etwas Medizin einzunehmen – besonders dann nicht, wenn sie von Ihnen kommt.«
Das Mädchen nickte. »Das … das ist sehr nett von Ihnen«, stotterte sie. »Ich werde Ihnen sagen, was ich weiß … Neben dem Hautausschlag leidet er noch an einer Art Kehlkopfentzündung. Und er hat sich oft übergeben und hatte Durchfall, und er hat kaum etwas gegessen. Oh, und er hat sich über Gliederschmerzen beklagt und darüber, dass seine Hände manchmal taub werden … Ich … ich glaube, das ist alles.« Sie versuchte zu lächeln. »Das reicht ja wohl auch.«
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, fuhr Fen unbarmherzig fort (im Nachhinein würde er auf diese kurze Unterredung zurückblicken und sie, von seinem Standpunkt aus, für den moralisch fragwürdigsten Teil der gesamten Ermittlungen halten). »Es gibt zwei Möglichkeiten, und eine davon lautet: Lebensmittelvergiftung.«
»Vergiftung?« Judiths Stimme klang alarmiert.
»Ptomaine. Sie wissen schon. Die sind nicht zwangsläufig gefährlich … Haben Sie Ihre Mahlzeiten dort eingenommen, wo Sie wohnen?«
»Ja. Ich habe für ihn gekocht. Die Vermieterin lässt mich die Küche benutzen.« Judith riss die Augen auf. »Aber ganz bestimmt habe ich nichts damit zu tun … Außerdem habe ich dieselben Sachen gegessen wie er, und mir fehlt nichts.«
»Genau. Vielleicht liegt es gar nicht am Essen. Vielleicht handelt es sich auch gar nicht um eine Vergiftung … Hat er denn viel getrunken?«
»Nein, fast nie. Bis zu jenem Vormittag im ›Bird and Baby‹ nur einmal.«
»Dann machen Sie sich keine Sorgen«, sagte Fen. Nun, da er alles Wichtige gehört hatte, wollte er das Gespräch schnell beenden.
»Aber wo steckt er jetzt?«, fragte das Mädchen.
»Wahrscheinlich ist er nach Hause gegangen, so wie Elizabeth es vermutet hat. Es wäre doch auch nicht unmöglich, dass er Sie gesucht hat und auf die Idee kam, Sie wären vorausgegangen? Vielleicht hat ihm jemand etwas Falsches erzählt … Ich denke, am besten gehen Sie in die Clarendon Street und sehen dort nach. Er scheint sich nicht mehr im Opernhaus aufzuhalten, aber wenn ich ihn sehe, sage ich ihm, wo Sie sind.«
Fen ließ sie allein und ging wieder zu Shorthouses Garderobe hinauf. »Ekelhaft«, murmelte er zu sich selbst. »Ekelhaft, aber leider unvermeidlich.« Adam, den beim Wache halten schon eine leichte Beklommenheit befallen hatte, freute sich über seine Rückkehr.
»Ich frage mich«, sagte Adam, »was Stapleton da auf dem Dach eigentlich gewollt hat.«
Fen setzte sich; er war erschöpft und entmutigt. »Wollte frische Luft schnappen«, sagte er knapp. »Er muss den drohenden Erstickungsanfall gespürt haben und nach draußen gegangen sein in der Hoffnung, dort besser Luft zu bekommen. Der Ort an sich ist ohne Bedeutung.«
Einige Augenblicke später traf Mudge in Begleitung eines Polizeiarztes ein. Glücklicherweise handelte es sich bei diesem nicht um Dr. Rashmole, dessen nekrophile Begeisterungsfähigkeit in Fens Augen unter diesen Umständen ganz unerträglich gewesen wäre. Der Arzt untersuchte die Leiche und bestätigte fürs Erste Fens Diagnose.
Weitere Kostenlose Bücher