Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Fen informierte Mudge in aller Kürze über das, was er von Judith erfahren hatte; es schien aber keinen besonderen Eindruck zu machen.
»Tja, Sir«, sagte Mudge verständnislos, »auf diese Frage gibt es wohl nur eine Antwort.«
»Unmöglich«, erwiderte Fen gereizt. »Das Mädchen hing sehr an ihm. Sie hat ihn genauso wenig ermordet wie ich.«
»Manche Menschen sind gute Schauspieler, Sir«, antwortete Mudge mit einer Plattitüde. »Und es wäre nicht das erste Mal, dass eine schal gewordene Liebesbeziehung mit einem Mord endet.«
»Würde sie zugeben, für ihn gekocht zu haben, wenn sie ihn vergiftet hätte?«
»Natürlich würde sie das.« Auch Mudge wurde jetzt ein wenig ärgerlich. »Die Vermieterin wusste darüber Bescheid, und der Versuch, die Tatsache abzustreiten, wäre vollkommen verrückt gewesen.«
»Vielleicht«, gab Adam mit auffallendem Mangel an Nachdruck zu bedenken, »hat ein Dritter das Gift in den Zucker gemischt, oder in irgendeine andere Zutat.«
Hoffnungsvoll sah er sie an, doch weder Fen noch der Inspektor machten sich die Mühe, ihm zu erklären, dass Judith, sollte das stimmen, wahrscheinlich ebenfalls tot wäre. Tatsache war, dass die beiden Männer sich unnötig erhitzten. Bei Fen lag es vermutlich an dem Gespräch mit Judith, beim Inspektor an der wachsenden Überzeugung, Fen verkompliziere mutwillig und unnötigerweise jeden Aspekt des Falles, den er nur in die Finger bekam.
»Wissen Sie, es wäre durchaus denkbar«, sagte Fen, »dass Stapleton regelmäßig von einem Dritten zu Essen oder zu Trinken bekam.«
»Denkbar schon«, sagte Mudge widerwillig. »Aber hätte seine Frau nicht davon gewusst, wenn sich die beiden doch so nahe standen, wie Sie es behaupten?«
»Ist mir doch egal«, schnappte Fen zurück. »Ich weigere mich absolut zu glauben, dass sie etwas damit zu tun hat. Haben Sie denn keine Augen im Kopf? Sehen Sie denn nicht, wie verliebt die Kleine in ihn war?«
»Und sehen Sie denn nicht«, fragte der Inspektor, »dass Sie wieder einmal versuchen, einen unmöglichen Mordfall zu konstruieren?«
Mit unverhohlener Abneigung starrten sie einander an. Und es war genau in diesem Moment, dass die Tür aufging und Judith selbst den Raum betrat.
»Professor Fen«, sagte sie, »ich habe gehört, Sie seien hier oben, und ich habe mich gefragt, …«
Dann sah sie die Leiche, die zusammengekrümmt am Boden lag.
Die Worte erstarben auf ihren Lippen. Sie stand absolut reglos da. Ihre Wangen glühten noch von der Anstrengung, die Stufen heraufgerannt zu sein, aber um ihren Mund und ihre Nase wurde sie kreidebleich. Sie versuchte nicht, sich dem Toten zu nähern. Nach einer Weile begann sie zu schluchzen – ein langsames, mechanisches, trockenes und beinahe geräuschloses Schluchzen. Für einige Zeit standen die vier Männer hilflos um sie herum. Dann versuchte der Doktor, sie zu berühren, doch sie wehrte ihn mit der Geste eines widerspenstigen Kindes ab. Das Schluchzen wurde immer langsamer und hörte schließlich auf.
»Sie werden ihn nicht aufschneiden«, flüsterte sie. Und dann erhob sich ihre Stimme plötzlich zu einem Schrei, einem schrecklichen, lächerlichen Geheul, das an eine zu Tode verängstigte Katze denken ließ: »Gott helfe Ihnen, wenn Sie ihn anrühren! Gott helfe Ihnen!«
Adam nahm seinen Umhang ab und breitete ihn über das leblose Gesicht mit dem klaffenden Mund. Er war sich im Klaren darüber, dass in der Ferne die Musik aufgehört hatte – im Klaren auch darüber, dass sie aufgehört hatte, weil er für seinen Auftritt nicht dort war. Er hörte, wie der Inspizientengehilfe ein Stockwerk tiefer immer wieder seinen Namen rief, doch er rührte sich nicht.
Nach der Probe ging Fen zusammen mit Adam, Joan und Elizabeth zum »Mace and Sceptre« zurück. Joan brach das lange Schweigen, indem sie sagte:
»Ich frage mich, ob sie meinen Rat beherzigt haben … meinen Rat, zunächst noch keine Kinder in die Welt zu setzen. Falls nicht, ist es für Judith vielleicht ein Trost …«
Nun war es an Fen, die Geduld zu verlieren. »Ein Trost«, wiederholte er aufgebracht. »Ja, das mag sein. Aber Sie scheinen immer noch zu vergessen, dass ein Mord begangen wurde, und dass irgendjemand früher oder später dafür hängen wird.«
»Sie glauben doch nicht, dass Judith …«
»Sie hat ihren Mann nicht umgebracht. Natürlich nicht. Aber da ist auch noch der Mord an Shorthouse. Wir sollten uns das Geschwätz über ›Trost‹ sparen, bis alles geklärt
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