Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
gewesen wäre, einen Arzt aufzusuchen …«
»Genau. Dann hätte er nicht sterben müssen.« Fen, der das feuchte Taschentuch gerade wieder einstecken wollte, besann sich eines Besseren und legte es auf den Schminktisch. »Dieser Hautausschlag ist ein ganz übliches Symptom bei Arsenvergiftung. Aber aufgrund der Tatsache, dass er früher schon einmal an einem Ekzem litt, dachte er sich weiter nichts dabei.«
Beide zündeten sich eine Zigarette an. »Was das Ganze so unerfreulich macht«, sagte Adam verbittert, »ist, dass derjenige, der ihn vergiftet hat, genau wusste, dass Boris lieber sterben als aus der Inszenierung aussteigen würde. Und darauf hat er sich verlassen … Und jetzt ist Judith Witwe, nach nur zwei Tagen Ehe, und … ach, es ist verabscheuungswürdig.« Nach einer Pause sprach er weiter: »Und ich kann kein Motiv dafür erkennen – es sei denn, es hätte etwas mit Edwins Tod zu tun … Könnte es Selbstmord gewesen sein?«
»Noch nie dagewesen«, sagte Fen ohne Zögern. »Wenn er sich hätte umbringen wollen, hätte er eine ordentliche Einzeldosis genommen, keine kleinen Häppchen. Und warum sollte er überhaupt Selbstmord begehen? Er hat gerade erst geheiratet. Allem Anschein nach war er überglücklich.«
Adam nickte düster. »Wie kommt man an Arsen heran?«, erkundigte er sich. »Ohne es ganz offen zu kaufen, meine ich.«
»Da gibt es jede Menge Möglichkeiten. Man kann es aus Fliegenfängern gewinnen, aus Unkrautvernichter und Rattengift, aus einem Desinfektionsmittel für Schafswolle und Gott weiß woraus noch … Jedenfalls«, fügte Fen hinzu, »werde ich mich besser aufmachen und mit Judith sprechen. Wie es momentan aussieht, ist sie unsere einzige Zeugin. Würdest du hier auf mich warten? Wimmel alle ab – alle außer der Polizei natürlich.«
Als Fen die Treppe hinunterlief, traf er auf Furbelow, und diese Begegnung erinnerte ihn an ein Problem, das er seit Tagen hatte klären wollen.
»Furbelow«, fragte er, »hatten Sie Instruktionen von Mr. Shorthouse, ihn auf keinen Fall zu stören, wenn er in seiner Garderobe war?«
Diese Frage schürte ganz offensichtlich das Feuer einer alten Abneigung neu. Furbelow vergaß sich sogar so weit, dass er ausspuckte, wenn auch auf ziemlich trockene und ineffiziente Weise.
»Ah, sicher hatte ich die«, platzte er heraus. »Ein paar von diesen Theaterfuzzis glauben doch wirklich, sie wären der Liebe Gott persönlich. An seinem ersten Abend hier bin ich rein zu ihm in seine Garderobe und denk mir nix Böses dabei, wollte nur gucken, ob ich auch nix vergessen hatte, und was macht seine Hoheit? Sagt mir, er würde mir den Hals umdrehen, wenn ich jemals wieder meine Nase zu ihm reinstecke. Hat mich doch tatsächlich ’nen Dieb genannt.« Außer sich vor Wut zischte Furbelow Fen an wie ein Gänserich. »Ich wär da nie wieder rein, nich mal, wenn der Teufel mit seinem Fleischerhaken hinter mir her gewesen wäre.«
Da ihm keine Möglichkeit in den Sinn kam, wie er diesen Sermon unterbrechen könnte, ging Fen seines Weges und ließ den empört keifenden Furbelow einfach stehen. Höchstwahrscheinlich, dachte er sich, hatten die übrigen Mitglieder des Ensembles von diesem Vorfall erfahren; Furbelow war kein Mann, der Beleidigungen stillschweigend hinnahm. Und das legte nahe, dass Edwin Shorthouse für zumindest einen der Umstände selbst verantwortlich war, die zu seinem Tod führten.
Fen begab sich hinter die Kulissen. Der dritte Akt hatte begonnen. Sachs saß in seinen Folianten vertieft da, während David so heimlich in den Raum geschlichen kam wie eine besonders kleine Maus, die den Schlaf einer besonders großen Katze zu stören wagt. Die Holzbläser schwatzten lebhaft, aber ohne rechtes Zutrauen. David stellte seinen Korb auf den Tisch und untersuchte dessen Inhalt, wobei er mit einem Auge ängstlich seinen Meister im Blick behielt. Nach einer Weile jedoch war er mit Kuchen, bunten Bändern und Würsten so beschäftigt, dass er bei dem Geräusch, das Sachs beim Umblättern einer Seite seines Folianten machte und das von einem Aufbrausen der Streicher begleitet wurde, in regelrechte Panik verfiel.
»Ja, Meister«, stammelte er. »Hier!«
Voll und düster spielten die Cellos das Wahn -Thema an, jene brillant entworfene melancholische Ader, welche die gesamte große Komödie durchzieht, sie beseelt und im Gleichgewicht hält … Und auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne entdeckte Fen Judith, die sich mit Rutherston unterhielt. Im
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