Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
ist.«
Elizabeth fragte sanft: »Sie haben noch keine Spur, Professor Fen?«
»Keine einzige«, sagte Fen etwas ruhiger. »Nicht den Hauch einer Spur … Sie sollten mich von Ihrer Interview-Liste streichen, Elizabeth.«
Schweigend liefen sie bis zum Hotel. Bevor sie sich trennten, sagte Fen zu Joan:
»Verzeihen Sie, dass ich so furchtbar unhöflich war.«
Sie sah ihn direkt an. »›Unmerklich‹«, sagte sie und lächelte. »Unser aller Nerven liegen blank, und ich gebe zu, dass mein sentimentales Geplapper niemandem weiterhilft … Kommen Sie morgen zur Aufführung?«
»Selbstverständlich. Viel Glück, falls wir uns vorher nicht mehr sehen.«
»Kommen Sie danach doch hinter die Bühne.«
»Sehr gern … Ich bitte nochmals um Verzeihung.«
»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Joan. »Ich werde es wagen, vor einem Literaturprofessor Shakespeare zu zitieren: ›Lasst uns Erinnerung nicht mit einer Last beschweren, die längst vergessen ist.‹ « Wieder lächelte sie, und dann ging sie mit Adam und Elizabeth ins Hotel hinein.
Kapitel 20
Bevor der Fall seinen Höhepunkt erreichte, gab es eine kleine Atempause von etwas weniger als vierundzwanzig Stunden. Die zweite Szene des dritten Aktes wurde am Montagmorgen geprobt, eine Woche nach Shorthouses Tod. Für Judith, die sich aus der Inszenierung zurückgezogen hatte, sich jedoch standhaft weigerte, zu ihren Eltern zu fahren, hatte man schnell Ersatz gefunden, ebenso für Stapleton. Rutherston hielt eine letzte, leidenschaftliche Ansprache, in der er den Chor inständig bat, sich Mühe zu geben und so auszusehen wie eine Gruppe von Nürnbergern aus dem sechzehnten Jahrhundert und nicht wie ein Anfängerkursus in Eurythmie. Die Ergebnisse von Stapletons Autopsie, die nicht verhindert werden konnte, wurden nicht vor Dienstagmorgen erwartet. Am Montagnachmittag würde niemand mehr arbeiten, bis sich um sechs Uhr dreißig der Vorhang für die Premiere hob.
Adam und Elizabeth verbrachten den Nachmittag im Hotel. Die Ereignisse der letzten Tage hatten es tatsächlich geschafft, einen Schatten auf ihre Beziehung zu werfen. Ein Gefühl der Befangenheit, ja der Kälte hatte sich zwischen ihnen aufgebaut, das umso weniger zerstreut werden konnte, als seine Ursachen entweder zu unklar waren oder scheinbar zu unbedeutend, um direkt angesprochen zu werden. Keiner von beiden war glücklich; ihre frühere, sorglose Vertrautheit war dahin. Bei beiden hatte die Bereitwilligkeit, den anderen zu kritisieren, stark zugenommen und machte selbst vor trivialen oder auch nur eingebildeten Vergehen nicht Halt. Elizabeth fand, dass Adam tyrannisch und herrschsüchtig geworden sei, und sie sehnte sich (wenn auch mit schlechtem Gewissen) nach den Tagen ihrer Unabhängigkeit zurück. Adam fand Elizabeth überempfindlich, reizbar und leicht zu kränken. Beide meinten, in dieser Entwicklung die berüchtigte Desillusionierung zu erkennen, die sich, wie man sagt, nach den ersten, romantischen Monaten der Ehe einstellt, und beide unterwarfen sich ihr halbherzig, womit sie sie logischerweise bestätigten und verstärkten.
Die Gründe hierfür waren vielfältig. Die Begegnung mit dem gewaltsamen Tod hatte sie nervös gemacht, auch wenn sie diese Tatsache kaum anerkannten. Die rein körperliche Furcht war nur ein Teil davon; darüber hinaus wirkte auch ein unterdrückter Atavismus, ein abergläubischer Horror vor dem Unerklärlichen, der tief in den Anfängen der menschlichen Rasse verwurzelt ist. Er war unbewusst, aber er war da. In Adams Fall wurde das Ganze teilweise durch die Anstrengung der letzten Proben (während derer nach Shorthouses Tod alle unter einem abnorm hohen Druck gestanden hatten), teilweise durch eine zeitweilige, irrationale und abwehrende Reaktion gegen die Unordnung, welche für das Theaterleben immer und zu allen Zeiten charakteristisch war, verstärkt. In Elizabeths Fall lag das Problem in der lückenlosen Überwachung ihrer Person, auf der Adam bestand. Sie war einer jener Menschen, die ein dringendes, angeborenes Verlangen nach gelegentlichem Alleinsein haben – und wie der Krieg gezeigt hat (falls hier überhaupt etwas bewiesen werden muss), können solche Menschen, wenn sie ununterbrochen in Gesellschaft sind, unerträglich und in Extremfällen sogar wahnsinnig werden.
Über diese Dinge sprachen sie nicht, da sie ihnen tatsächlich nur halb bewusst waren. Auch war ihre gegenseitige Kritik nie explizit; sie machten höchstens Andeutungen. Dennoch
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